Manchmal trifft man jemanden und kapiert gleich: Was der macht, hat mit Zukunft zu tun. Oder besser gesagt: Mit der Anwesenheit von Künftigem in der Gegenwart. So war das mit Vladimir Muzhesky, der im Sommer 2000 in einer Cyberlounge in der Zürcher Shedhalle, eingeladen von der Gastkuratorin Yvonne Volkart, eine grosse Projektion mit grünlichblauen 3D-Simulationen zeigte. Der Blick schwebte durch fluoreszierende, je nach Fantasiedisposition submarine oder interstellare oder piranesische, jedenfalls unergründliche virtuelle Räume.

Als ich kurz darauf in New York war, besuchte ich Vladimir aus Kiev in seinem kleinen Atelier gleich neben einem Sweatshop in Chinatown, wo Frauen in Schwarzarbeit für Hungerlöhne Klamotten nähen. Gibt es ein besseres Bild für die Krassheiten der postkommunistischen Globalisierung als den exilierten IT-Worker aus Russland, der im Cyberspace unterwegs ist, Tür an Tür mit fusseliger Staubluft und den aktuellsten Spielarten des Manchester-Kapitalismus?

Während in Vladimirs Atelier elektronische Sounds die Hitze durchlöcherten und seine taiwanesische Assistentin in japanischer Designerkleidung am Mac arbeitete, führte er mir seine frappierenden Arbeiten vor, die mit hochraffinierter 3D-Software für die Künstlergruppe Basicray entstanden sind, der Vladimir angehört. Die Räume wiederum, sie muteten an wie ungeträumte Träume, wie uneroberte Kontinente. Und Vladimir erzählte mir Staunenden seine Geschichte: Wie er kurz vor dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems als studierter Informations-Linguist und Philosoph mit der Psychotronik in Berührung kam, einer Art militärischer Grundlagenforschung sozusagen. Die Psychotroniker waren auf die manipulative Verhaltens- und Bewusstseinskontrolle aus, nix ganz Harmloses also.

Und Vladimir erzählte, wie der bankrotte russische Staat das Institut nicht mehr finanzieren konnte und all die freigelassenen Forscher nach 1991 eine Art alternative Medien-Subkultur bildeten, zum Beispiel im Medialab von Kiev. Als dem die Puste ausging, siedelte er ins Silicon Valley über, hatte mit Robotik und Flugsimulatoren zu tun, also der Militärtechnologie der ehemaligen Gegenseite. Kam mit Leuten in Kontakt, die im weitesten Sinne künstlerisch, jedenfalls experimentierend mit den neuen Technologien operierten.

Dann wurde er Artist in Residence an der Amsterdamer Reichsakademie und bei der Steim Foundation, traf dort auf frühe Netzaktivisten, Hakim Bey und Geert Lovink, später auf die New Yorker Szene rund um The Thing und Wolfgang Staehle. Für The Thing arbeitete er als Web-Designer. Heute betreibt er den New Yorker Knoten von Baysicray, wo künstlerische und kommerzielle Arbeiten entstehen. Ein typischer Nomade des Cyberspace eben, der seine eigene künstlerische Tätigkeit mit einträglicheren kommerziellen Arbeiten quersubventioniert, ohne sich deswegen schon als Verräter an der Kunst zu fühlen.

Vladimir erzählte, bevor wir in einem hervorragenden chinesischen Restaurant zu dritt eine Pekingente verspeisten, was für ihn die zukunftsträchtigen Richtungen für Kunst im Internet sind und dass diese parallel zu technologischen und ökonomischen Entwicklungen laufen. Die alte Rivalität zwischen Kunst und Technologie, die Idee der Kunst als Technologiekritik sei ihm fremd. <Ich glaube einfach nicht mehr, dass es ein Monopol der Kreativität oder Produktivität gibt. Die zeitgenössische Situation ist die der Dispersion, der Zerstreuung.> Unter diesem Blickwinkel ist es gut möglich, dass wir in seiner Arbeit, die die Erweiterung von Bewusstseinsräumen durch virtuelle Welten auslotet, mit einer neuen Entwicklungslinie der Kunst konfrontiert werden - nicht der einzig denkbaren, aber einer, die neugierig macht.

Barbara Basting