Elisabeth Bronfen
Verstrickungen anderer Art
Das hier ist eine Photografie. Von einem Spiegelraum. Markierungen sind
darin angebracht, aus schwarzer Wolle, die zu Figuren werden, zu dunklen,
menschlichen Gestalten, ohne dass wir sie erkennen könnten, aber es
scheint als würden sie uns anblicken, und gleichzeitig, im Schwarz
der Wolle, entziehen sie sich der Spiegelung. Sie verbieten es, jede vorgeformte
Erwartung, welche
wir von der Erscheinung eines menschlichen Gegenübers haben, auf sie
zu übertragen. Wir können unsere Vorstellungen nicht wieder finden.
Umgeben von Spiegeln verweigern diese Figuren auf doppelte Weise eine Spiegelung
und sie verwandeln den Raum ins Unheimliche: Das Schwarz wirft alle Projektionen
auf uns zurück. Der anscheinend vertraute Raum entfaltet einen unbekannten
Ort. Wie, da uns kein Subjekt als Orientierungspunkt angeboten wird, sollen
wir uns dort zurechtfinden? Aber es sieht so aus als wären einige dort,
sie sind nur mit schwarzer Wolle zugedeckt. Oder weggestickt, erfunden,
nie dagewesen? Wer weiss das schon gewiss? Jedenfalls verflüchtigt
sich die Grenze zwischen der harten Materialität der Photografie und
deren Widerspiel in der weichen Wolle aus Schwarz. Und dennoch bieten die
schwarzen Gestalten das Versprechen einer Begegnung an, aber sie sind ausserhalb
der Spiegel.
Und plötzlich sehen wir den Raum und nicht die Spiegel, und sehen,
wie sich alles ineinanderverdreht und verstrickt bis wir schliesslich in
einem unmöglichen, virtuellen Ganzen gelandet sind. Doch eben nur für
einen Augenblick. Denn die Verzerrung der spiegelnden Wiedergabe lässt
keinen Zweifel daran, dass die darin erkennbaren Gesichter nur das Illusionsspiel
von Lichtstrahlen sind. Sicher an einem Ort verankert sind nur die dunklen
Figuren, die sich uns entziehen. Auf einmal begreift der Blick sie als Mahnende
in einem allegorischen Theater, Repräsentanten eines Gesetzes des Realen,
welches uns die Fehlbarkeit der Einbildungskraft verkündet. Der abgebildete
Raum entpuppt sich durch den Eingriff mit Wolle
als echte Simulation, setzt also das Illusionsspiel der Abbildung in Gang
und entzieht sich diesem auch wieder mit der gleichen Geste. Und damit werden
wir auf uns zurückgeworfen, erkennen unseren Wunsch, im Bild des Anderen
eine Stabilität für die eigene Selbstwahrnehmung zu gewinnen,
begreifen aber auch die Unmöglichkeit dieses Unterfangens. Dunkel blicken
die Anderen uns an. Zu dem geworden, was wir uns heimlich wünschen:
ein leerer Fleck auf den
alles projiziert werden könnte, macht er genau diesen Phantasievorgang
unmöglich. Wie Reste,
die nach einem bedeutsamen Schnitt übriggeblieben sind, der das Subjekt
von einem früheren Zustand mangelnder Erkenntnis trennt, verweisen
diese dunklen Menschen auf jenen traumatischen Kern, der jedem Versuch,
ein in sich schlüssiges Bild eines Ereignisses oder
eines Raumes zu erstellen, innewohnt. Das Verlangen, sich der materiellen
Phänomene, die uns umgeben, in Form imaginärer Umgestaltung zu
bemächtigen, lockt und verweist gleichzeitig auf das Scheitern der
Bemühung um eine kohärente Wiedergabe von Welt.
In der Inszenierung mit Wolle wird das sichtbar, was Bilder sein können:
künstliche Umgestaltungen und Material für Blicke, damit die widersprüchliche
Phänomenalität unserer
Welt erscheinen kann. Es ist nicht der Mangel oder der Verlust einer unmittelbaren
Nähe zu den Dingen, der uns begehren lässt und stets auf die Suche
einer Spiegelung im Anderen treibt. Was uns in die scheinbare Sicherheit,
die das deutlich erkennbare Bild des Anderen zu bieten verspricht, begeben
lässt, ist eher das Wissen, dass wir dieser Nähe der uns fremden
Materie nicht entkommen können, dass wir sie aber auch nicht in uns
spiegelnde Figuren übersetzt bändigen können. Die Nähe
bleibt als Fremdkörper erhalten und zeigt sich uns als gefüllte
Lücke: Ein schwarzer Körper, dem wir nicht ausweichen können,
wärend er sich gleichzeitig im Bild unserem Zugriff hartnäckig
entzieht. Die wolligen Körper verankern uns im Spiel der funkelnden
Lichter des durch Spiegelungen gebrochenen Lichts, dem schönen Schein
der verzerrten Abbildungen. Und so störend unheimlich diese schwarzen
Flecken wirken, so vertraut werden sie, lässt man sich auf die von
ihnen zum Ausdruck gebrachten unlösbaren Widersprüche ein. Dann
strahlt der Raum, der in dem Augenblick, als man sich in ihm zurecht finden
möchte, plötzlich fremd wirkt, ein geheimes, altvertrautes Wissen
aus, und unser umherschweifender Blick kann
an einem Punkt verweilen. Nicht die Illusion, sich im Anderen zu spiegeln,
findet hier ihre
Versicherung, sondern die Möglichkeit der Begegnung mit dem oder der
Anderen als das
Andere, als einem Gegenüber, das aus dem Spiegel gefallen ist. Im Schwarz
lösen sich alle Bilder auf und zeigen sich gleichzeitig, so wie die
Unmöglichkeit einer Begegnung im Spiegel zu zeigen vermag, was eine
Begegnung mit dem Anderen zulassen wird.
Text erschienen in:
Marion Strunk: Wolle 2/embroidered images. Foto+Faden
memorycage Editions, Zürich 99
www.memorycage.com