Friederike Kretzen
Du lieber Himmel
Steh bloss nicht auf. Bleib liegen. Während elektrische Liebe den Himmel
durchbohrt. Altes Lied das. Jimmy Hendrix aus Electric Ladyland. Ja, da
war immer ein Sänger und immer ein Land, das wie' ne Lady hiess. (Der
grosse Dachs aber hat sein Meer in der Erde. Kleine schwarz- weisse Priester
kommen über eine Erdhügelgegend gelaufen. Sie
bringen ihm Gaben und wollen ihn anbeten. Dies ist ein Bild von Leonora
Carrington 'Anbetung des grossen Dachs'. Wir hier haben was anderes zum
Anhimmeln. Wir kleinen katholischen Ladys.) Could the Lady please show at
the door, sagt der Hotelpolizist nach dem kleinen Streit, der sich da im
Zimmer des Palmer House, Chicago, abgespielt haben muss. Und um sicher zu
gehen, dass sie noch lebt. Hello, sagt die Lady, und setzt ein Lächeln
auf. Schon ist er befriedigt. Während elektrische Liebe den Himmel
durchbohrt, liegen - zweite Strophe - Gut und Böse Seite an Seite.
Steh also bloss nicht auf, sag ich dir. Und denk an alles. Indianer, Mütter,
Schwarze, die heilige Ursula, der Ponyhof, Pflanzen. Alles, was irgendwo
ist, und einiges lebt in Häusern, anderes geht in die Stadt und kommt
nicht an, oder steht auf Wiesen, wartet auf Regen, auf Bienen. Die heilige
Ursula, denk dir, ist schon verschrieben, bevor sie am Morgen aufsteht.
In allen vier Ecken, du kennst den Reim von Anfang an, soll Liebe drin stecken.
In der Stadt aber wird geschossen. Die haben nur drauf gewartet, dass die
auf den kleinen Ponys in die Stadt geritten kommen. Schon ballern sie los.
Aus dem Hüftgelenk raus, hinter den Kniekehlen durch. Eine Lady gibt
einen schrillen Ton von sich, sie steht hinterm Tresen und setzt die Lachmiene
auf zum bösen Spiel. Ich will nicht, dass wieder die ganze Stadt versaut
wird, sagt der Sheriff, der nur mittags um
zwölf schiesst. Wie haben die das nur mit den tausend Jungfrauen gemacht?
Weisst du jetzt, wo wir sind? Die auf den Ponys reiten auf der anderen Seite
der Stadt wieder raus und fragen sich in ihrem Schrecken: Sind wir im Bild
oder auf dem Land? Die Mütter sitzen vor dem Fernseher und wissen es
auch nicht. Sie sagen: Mein lieber Himmel. Meinen aber unseren. Aber auch
der weiss es nicht. Und zusammen glänzen sie durch Unwissenheit. Sie
leuchten regelrecht. Strahlend erklären sie, wir sind hier wie angewachsen.
Wo sind unsere Mütter, singen die Pflanzen auf dem Feld und träumen,
Ponys zu sein, loszurennen, pfeilartig, schräg durch die Luft, gestreckt
über die Berge. Während die Mütter träumen, Indianer
zu sein auf den Ponys, und raus aus der Stadt zu jagen, den Bergen zu, die
Zügel zu lockern und über Bilder zu gehen. Sie werden nicht müde.
Der Sheriff schiesst erst wieder um zwölf. Bis ihr Reiten den Sinn
verliert. Die Pflanzen schliessen für heute. Das Blau ist vom Himmel
runter versprochen. Knie dich ins Fenster. In allen vier Ecken soll Liebe
drin stecken.
Halt bloss die Augen auf. Auch wenn die hier jetzt alle auf Nacht machen.
Keine Mutter ist zu gross, um im Traum eine Biene zu sein. Und alle guten
Kinder gehen von allein, - vor allem rechtzeitig - in den Himmel. Wir Sterne
sind schon überreif, rufen die Tapeten.
Sie wollen als Mantel getragen werden. Wie damals, während der russischen
Revolution. Mit heisser Nadel zusammengeheftet. Da war immer was als Stoff
zu brauchen und immer ein paar Ladys, die's taten. All die Fallschirme,
die dann schöne Blusen wurden.
Wir sind wie angewurzelt, sagen die Mütter und breiten den Rock drüber.
Hing an dem Fallschirm nicht noch ein Mann? Was einem so alles auf dem Magen
liegen kann, und dabei ist es gar nicht da.
Mit der Schnelligkeit von Gedanken, Händen und Nadeln durchkreuzen
jetzt Engel den Raum. Die Sterne sind ihre Lampen. Das wissen die Tapeten
und wollen raus. Achtung vor den Bienen. Und: Fürchte deinen Nächsten.
Aufs Kissen gestickt. Darauf knie deine Gedanken. Wie dich selbst. Mit offenen
Augen, hasenartig. Zieh das Jalousienhemd
drüber. Spürst du schon was? Ja, sagst du, wer einen Engel kennt,
kann auch den Mond sehen. Oder wer war das, der in die Gitter der Jalousie
gebissen hat? Mit spitzen Zähnen. Erst dachte ich, das ist ja der Mond.
Es ist aber der Engel, der auf der anderen Seite des Fensters das Sternbild
des Tischs und des Stuhls in die Jalousie gebissen hat. Ich bin kurz davor.
Himmel es an. Durchs Kreuz des Zimmers. Habe die Ecken bekniet. Ich will
nur rausgucken. Da war immer ein Sehen und immer eine Lady, die sich an
was stach. Womit sie wieder für ein paar Jährchen weg war vom
Fenster. Oh ihr
meine kleinen Nächsten. Hört ihr sie? Irgendwo auf der Welt ruft
eine Mutter: Was hast du bloss, dass du gleich wieder wie eine Rakete losgehen
musst?
Text erschienen in:
Marion Strunk: Wolle 2/embroidered images. Foto+Faden
memorycage Editions, Zürich 99
www.memorycage.com