Patrick Frey


Hinter Glas

erschienen im Künstlerbuch "dort ausserhalb ", von Flavio Micheli, Memory Cage Verlag Zürich 2000


Hinter Milchglas

Reflexion und Unschärfe / Erinnerung / Entrückung
Unschärfe als charakteristische Eigenschaft von Erinnerung / Spiegelung als Charakteristikum von Lebenspräsenz / die Untoten haben kein Spiegelbild.

Die Unschärfe, nicht etwa gemalt, sondern hergestellt durch ein Milchglas, das über scharf gemalte Konturen gelegt wird.

Das Milchglas ist ein Filter, ein CODE, so wie in den späteren Bildern die Fensterscheibe der transparente Spiegel, der ebenfalls einen dünnen Schleier, eine durchsichtige Folie, einen Film über das Bild legt und die Malerei entmaterialisiert.

Es entstanden Bilder, die sich konstant entziehen. F.M.: Sie sind da und entziehen sich. Dadurch provozieren sie eine VORSTELLUNG davon, was überhaupt dargestellt sein könnte. Prozesse, die Vorstellungen provozieren, die den Betrachter aus seinem jeweiligen Hier und Jetzt an einen anderen Ort entführen, haben für F.M. etwas Romantisches. Der Betrachter bleibt nicht bei sich, sondern nimmt an einem elementaren Vorgang teil, an einer mentalen BEWEGUNG.

Milchglaseffekt: Von der Seite betrachtet schwindet die Farbigkeit, verstärkt sich die Unschärfe, der Nebel, der nur noch die starken Farben durchdringen lässt.
Dass es sich um einen rein optischen Effekt und nicht um etwas Gemaltes handelt, wird nicht unbedingt erkannt. Es entsteht eine fundamentale Verunsicherung angesichts der Tatsache, dass das Schwinden der Schärfe bei der Annäherung an die Bildoberfläche drastisch zunimmt. Von weitem ist die Gestalt besser erkennbar. Wenn man nähergeht, um etwas genauer zu erkennen und zu überprüfen, wird mit zunehmender Unschärfe die Imagination einer Gestalt vollständig unterbrochen.
Es gibt Analogien bei diesem Prozess zum Vorgang des sich Erinnerns. Je näher man dem Erinnerungsgegenstand kommt, desto mehr schwindet die Wahrnehmungsschärfe.

Eine weitere Folge des Milchglaseffekts: man weiss nicht mehr, in welcher Tiefe der Malgrund sich befindet. Die Dimensionalität der Farbe ist unklar, ändert sich ebenfalls mit Distanz und Betrach-tungswinkel. Flüssigkristallbilder sind auch Hinterglasbilder

Von sehr sehr weit müssten diese Bilder wieder ganz scharf sein..

Die Hinter(milch)glasbilder waren als Modell-Bilder gedacht. Die Malerei gedacht, fast nur noch Vorwand um bestimmte Wahrnehmungsprozesse in Gang setzen zu können.
Dann aber löst sich die Spiegelung von der Vermittlung der sinnlichen Wirkung der Farbe.
Der Schritt war: die Spiegelung (der eingefrorene Augenblick), und die Vermittlung der Farbe als autonome Wahrnehmungsebenen zu kombinieren.
Das spätere Einfrieren einer Spiegelung als Methode zur Herstellung des Bildgegenstandes wird im Aufbau und bei der stark spiegelnden Präsentation der Hinter(milch)glasbilder bereits angelegt.


Fotografierte Hinterglasmalerei / Selbstreflexionen / Echobilder

M. reduziert also die Malerei noch stärker: schafft monochrom gemalte Hinterglasbilder und fotografiert diese in einer Ausstellungssituation, wobei nun auch der gespiegelte Raum sowie
die Umrisse des Fotografierenden, etwa seine Beine von der Hüfte an abwärts, oder den Torso, wahrgenommen werden.

Daher ein doppeltes Spiegelbild, das eine etwas "tiefer" auf der Höhe der Fotoemulsion, das zweite, die im Zeitpunkt der Bildbetrachtung jeweils, so könnte man sagen: sich vollziehende, sich mit dem Betrachter bewegende Spiegelung im Glas/hinter dem Glas. Der Unterschied in der Tiefen-dimension liegt also bei weniger als einem Millimeter. Die Spiegelung liegt wie eine Art Folie oder wie ein dünner Film über dem ursprünglichen Bild, das heisst über der monochromen Farbfläche.

M. spricht von einem Perpetuum Mobile; das Bild erschafft sich sich selbst weiter; der Autor friert einen der möglichen Zustande im Leben der monochromen Hinterglasbilder ein.

Das Bild mit den beiden Beinen im Raum auf warmfarbigem Grund ist auch ein Selbstportrait des Künstlers. Der Künstler ist immer der erste Betrachter seiner Bilder.
(Der Künstler ist möglicherweise schon der Betrachter des noch nicht gemalten Bildes; it’s all in your head; er betrachtet das innere Bild, die Konzeption, die Idee als Suchbild.)

Was hier Spiegelbild ist, wirkt eher wie ein Schatten, schemenhaft.
Umkehrung der alltäglichen Verhältnisse.

Reflexion oder schon eine Selbstreflexion? M. möchte den theoretischen Aspekt lieber ein wenig zurücknehmen. Er möchte, dass man die Bilder eher als ERSCHEINUNG sieht.
Der Ausdruck ERSCHEINUNG ist auch auf seine spiritistische Bedeutung hin zu sehen.
Die Schattenbilder, das LUFTBILD, die aus dem "Nebel" hervortretende, im "Nebel" schwimmende Gestalt, die APPARITION, der Zusammenhang mit dem Apparatischen, mit dem Fotoapparat.

Und: Es ist für Künstler prekär, zu selbstreflexiv zu sein. Oft glaubt der Künstler (aufgrund von eigenen Ueberzeugungen, aber auch, weil es ihm von aussen suggeriert wird), er dürfe nicht zuviel nachdenken, bevor er male. Es geht um Selbstzensur, um die Angst vor der Reaktion auf einen zu konzeptionellen Ansatz. Angst davor, zuwenig direkt und primär zu sein, zuwenig Intuition anzuwenden, zu kalkuliert vorzugehen. Kein Künstler gibt an, mit seinen Werken ein wahrnehmungstheoretisches Theorem abzuhandeln.

Das seltsam ambivalente Verhältnis von bildenden Künstlern zur Philosophie: eine Hassliebe oder sogar eine Angstlust ist da zu spüren. Bilder können keine klaren Aussagen zum Verhältnis von Wirklichkeit und Abbild machen, sie stellen dieses Verhältnis dar.

F.M.s Bilder sind Selbstreflexionen. Dies als doppelt besetzter Begriff: einerseits macht F.M. Bilder, die sich perpetuieren, sich selbst abbildend reproduzieren; eine Art Bildermaschine. Zum zweiten enthalten seine Bilder spiegelbildliche Abbildungen seines eigenen Körpers, er ist selbst im Bild und zwar in einer quasi automatischen Form von Autoportrait: der Künstler erscheint im Bild fast etwas zufällig, wie nebenbei und absichtslos gerät er in den Fokus des Apparats.
Es geschieht, es erscheint, "es malt" (Richter).
Es ist auch nicht sicher, ob es sich bei den gespiegelten, teils nur sehr schwach wahrnehmbaren Körper oder Fragmenten desselben, um solche des Künstlers selber handelt.
Die UNGEWISSHEIT über die Identität der abgebildeten Gegenstände, ist im Falle des selbst-portraithaften Bildgegenstandes eine existenzielle.
Was wahrgenommen wird (FARBSCHATTEN, GETRÜBTES SPIEGELBILD, SCHEMEN) ist vielmehr ein Hinweis auf eine Identität, ein Zeichen. Ein metaphorischer Hinweis. Dieses kaum wahrnehmbare Beinpaar (oder andere kaum wahrnehmbare Dinge in den anderen Bildern) BEDEUTEN eine be-stimmte Vorstellung von Autorenschaft (oder die Sehnsucht nach einer solchen; die Sehnsucht nach einer unendlichen FLÜCHTIGKEIT des so genannnten SELBST des Autors; die Sehnsucht nach der FLÜCHTIGKEIT SELBST.
Es gibt da dem Augenschein nach (wahrscheinlich) einen Autor, der sich als "zufällige" REFLEXION abbildet. Der Autor als Reflexion. Oder: Der Autor? –vielleicht nur ein Reflex.

Ein modellhafter Hinweis darauf, wie der Künstler im Werk auftauchen könnte.
Auch dieses Wort ist wichtig : AUFTAUCHEN.
Der Autor ist hier ein höchst flüchtiges Wesen, der malerische Gestus ist auf eine sozusagen "hinter" dem Bild, im Verborgenen sich abspielende Tätigkeit, das Hinterglasmalen, reduziert. Selbst im Hinterglasbild ist schon jede Spur einer körperlich-malerischen Arbeit getilgt, im fotografierten Hinterglasbild ist sie ganz verschwunden. Jede physische Berührung wird vermieden. Die Aktivität des Autors beschränkt sich auf das apparatische Wahrnehmen eines Wahrnehmungsmodells.

Die Aktivität des Autors ist ein in Gang setzen von bildnerischen Prozessen, in Zusammenarbeit mit Apparaten, mit Medien. Der Autor ist ein Regisseur geworden. Er legt -durchaus auch strategisch vorgehend- fest, was sich im eingefärbten Malgrund spiegeln wird.


Fenster / Spiegel / Bilder

Nach den fotografierten Spiegelungen von Raum- und Autorfragmenten in monochromen Hinterglasbildern entsteht gewissermassen das Umgekehrte.
Der Künstler dreht sich zur Aussenwelt um und fotografiert nachts durch die spiegelnden Fensterscheiben des Innenraums hindurch in die urbane Nacht hinaus.

Zwei entscheidende Veränderungen: Durch ein nachträgliches digitales Einfärben mit einem einzigen Farbton wird die Behauptung, es gehe hier um Malerei weiter relativiert.
(Vergleiche damit die monochrome Farbigkeit der frühen Farbfotografie der Zwanziger Jahre oder die Praxis des Kolorierens von Schwarzweissfotos)
Der Körper des Autor ist nicht mehr sichbar, nicht mehr im Fokus der Kamera. Dafür genügt eine kleine Drehung des Aufnahmewinkels.
M. sagt, er benütze das nachträgliche Einfärben dazu, die scheinbare Objektivität der Fotografie in etwas Bildhaftes, Erscheinungshaftes zu verwandeln, zu vereinheitlichen.
Neu daran sagt er, ist, dass man sich (als Betrachter), imaginativ in diesen auf dem Bild des Fensters gespiegelten Innenraum hinein begibt. Es entsteht ein Illusionsraum, den er durch die Einfärbung betont. Veduten, nennt er diese Bilder.
Es handelt sich um zwei ineinanderliegende -fotografische- Illusionsräume:
Zum einen der im jeweiligen Fenster gespiegelte Innenraum, zum anderen der durchs Fenster fotografierte tiefe nächtliche Aussenraum, aus dem dann der Betrachter allerdings durch die irritierende, JETZT stattfindende Spiegelung wieder abgestossen, hinausgestossen wird.

Oder fundamentaler (und etwas komplizierter): Wenn der Betrachter realisiert, dass das, was er anfänglich -mit gezielt geweckter voyeuristischer Lust- als intime Szenerie wahrnahm (nämlich der von aussen durch ein Fenster nach innen fotografierte Ausschnitt eines Schlafzimmers mit einem zerwühlten Bett), ein VON INNEN gespiegeltes Bild auf einem Fensterglas ist, wird er aus dieser täuschenden Intimität hinaus, gewissermassen durch das FENSTER / das GLAS / die MEMBRAN/ den FILTER hindurch, hinein in die Bildtiefe gezogen, zu der vergleichsweise winzigen , hell erleuchteten Fensteröffnung und hinein in jenen unbekannten Raum hinter dem Fenster dort, irgendwo drüben, auf der anderen Seite der Strasse, wo ebenfalls noch eine Lampe brennt.
Diesen plötzlich so attraktiven Licht- Raum imaginieren wir wie getränkt von der semitransparenten Intimitätsmaterie des erwähnten GESPIEGELTEN SCHLAF-RAUMS, durchwirkt vom milchigen Weiss der halbdurchsichtigen Bettwäsche. Von der Erscheinung des nahen SPIEGEL-SCHLAFRAUMS, kann sich unsere kritisch-sehnsüchtig floatende Wahrnehmung gar nicht sehnsüchtig hingezogen fühlen, weil sie sich gleichsam schon immer darin befindet. Das gespiegelte Schlafzimmer umfasst den Betrachter auf paradoxe Art, nämlich vollkommen aber vollkommen ohne Illusion, eher konkret, physisch. Spiegelungen sind frei von Illusion.

So erfährt das erleuchtete Fenster im nächtlichen AUSSEN allmählich eine in der Unschärfe seltsam reale, intime Aufladung und wird zum seltsamen Attraktor im chaotischen oder jedenfalls hoch-komplexen Verwirrspiel der Wahrnehmungs-/Spiegelebenen, wird zum fernsten Fenster/Glas im Dispositiv der Gläser, das "hinterste" Hinterglasbild im Bild.
Der nächtliche Hintergrund mit seinen erleuchteten Fenstern, gesehen durch die Filter der Spiegel-ungen ist der einzige Ort, an dem sich unser schweifendes Auge ausruhen kann, immer forschend und imaginierend, immer angezogen von der Ferne, der absoluten Ungewissheit.
(Es könnte durchaus umgekehrt sein: die Schlafzimmerecke könnte von aussen durch ein Fenster-glas hindurch fotografiert sein, und die Lichtflecken im Hintergrund wären dann REFLEKTIONEN der nächtlichen Stadt.)


Entführungen / mentale Versetzungen

Die Versetzung in den gespiegelten Schlafraum oder in den virtuellen Raum eines anderen Bildes, wo man erst über das Detail eines Lichtschalters und dann über einen Nagel zur fast schockierenden Wahrnehmung einer gespiegelten WAND geführt wird, diese ENTRÜCKUNG ist nicht illusionärer oder intuitver Art, sondern sie geschieht gewissermassen als sensorisch wirksame Reflektion.
Die über die Wahrnehmung erfolgende Erkenntnis, dass die Abbildung des gespiegelten Raumes sich nicht vom Betrachter weg in die Tiefe ausdehnt, sodern auf ihn zu und um ihn herum ausdehnt, ihn umfängt, und dabei –nicht zuletzt auch wegen der Einfärbung des fotografischen Grundes- dennoch ein reines dimensionsloses Bild bleibt, führt zu einer merkwürdigen zugleich mentalen und KÖRPERLICHEN EMPFINDUNG, einer paradoxen räumlichen SENSATION.

Wichtigste Voraussetzung dieser Wahrnehmungssensationen ist die scheinbar simple Identifizierung von BILDGLAS und FENSTERGLAS. Im Grunde geht es hier darum, die Realitätsfragmente, die auf und hinter einem Fensterglas erscheinen und sich abbilden, in ein HINTERGLASBILD mit ERSCHEINUNGEN zu transformieren.

Es könnte sogar sein, dass Kunst gerade dies unbedingt tun sollte: Wirklichkeitsfetzen in Appari-tionen zu verwandeln, die Körper in Gespenster oder die durchwühlten Laken in milchige Schleier.
Natürlich nicht durch vages Fühlen sondern durch wahrnehmendes Denken, aber mit Hilfe von Rauschzuständen besonderer Art, mit skeptischen Ekstasen etwa.

Im Bild mit dem Lichtschalter und dem Nagel ist dieser mentale Raum, von dem oben die Rede war, dieser sich vom Bild zum Betrachter ausdehnende und ihn umfangende Raum ein stark verengter virtueller Korridor, eine klaustrophobisch strukturierte Wahrnehmungsschleuse zwischen BILDGLAS=FENSTERGLAS und abgebildeter WANDSPIEGELUNG.
Und so sehen wir mit unseren Betrachteraugen durch das Fenster/Bild/Glas in eine künstlich aufgehellte Nacht hinaus auf die unsichtbare nächtliche Strasse, in einer eigenartigen Analogie zu den weissleuchtenden Augenpaaren der Autoscheinwerfer, die durch den gelblich gekörnten Nebel der gespiegelten Gipswand, durch den Nagel auf uns zufahren.
Auch sie sind Ausgangspunkte der Wahrnehmung, gewissermassen "von der anderen Seite" des Bildes her.
Diese Lichter sind ziemlich aggressiv. Sie schauen dich an. (F.M.)


Die Spiegelung des Betrachters beim Betrachten des Bildes

Bei aufmerksamem Betrachten eines Bildes mit reflektierender Oberfläche, sieht man diese eigene Spiegelung ziemlich lange nicht, blendet sie völlig aus, sieht durch sie hindurch. Diese zerebrale Leistung ist sehr beachtlich, denn wenn man die Spiegelung der eigenen Gestalt, oder des eigenen Gesichts beim Betrachten einmal bemerkt hat, ist es sehr schwer, sie wieder auszublenden.
Bei F. M.s Bildern erfolgt diese Selbstwahrnehmung immer irgendwann zwingend, da seine Arbeiten darauf angelegt sind das Spiegelbild nicht ausblenden zu können. Sie zielen also darauf, den Vorgang der Wahrnehmung zu komplizieren und zu erschweren. Auch das könnte eine, auch heute noch gültige Aufgabe der Kunst sein: die Wege der Wahrnehmung sich verschlingen zu lassen.
Auch der Betrachter geht sofort in die Position von F.M., der sein Spiegelbild aus dem Fokus rückt. Natürlich möchte man an einem Bild teilhaben, aber nicht in dieser überdosierten Form.
Es ist physisch unangenehm, in einem Werk, in dem man das ganz Andere zu entdecken hofft (um es dann natürlich sogleich mit dem Eigenen zu kolonisieren), wenn man also in einem solchen Bild schockartig von der schemenhaften Erscheinung nicht nur irgendeines Eigenen sondern schlicht des Selbst überfallen wird.
Oder: Da die Kunst das Sehen bewusst machen will, muss das Sehen erschwert werden (vielleicht, weil das Sehen zu leicht geworden ist, gemeint ist natürlich das Sehen von Bildern im weitesten Sinne) Oder: Das Sehen ist im alltäglichen Sinne meistens Uebersehen. Wenn wir nicht das meiste übersehen würden, könnten wir gar nicht überleben, oder würden sofort verrückt.

Insofern könnte die Kunst das ständige ÜBERSEHEN der Dinge bewusst machen. Wenn das Wahrnehmungsmodell, wie bei F.M. so gebaut wird, dass es sich beim übersehenen Gegenstand um das Selbstbild geht, ist die Bewusstseinsveränderung besonders dramatisch.
Was geschieht mit der Präsenz des Künstlers im Bild? Warum ist er nicht mehr da?
F.M.: Wenn ich im Bild als Spiegelung auftauche, dann ist dieser eine Zustand fixiert. Der Platz für andere Subjekte ist verstellt.
Und: Die Abwesenheit des Menschen in seinen Bildern hat grundsätzlich etwas Melancholisches (F.M.)
Und am Grund des Melancholischen liegt die Gewissheit, dass das Unternehmen, Bilder zu "malen" in einem gewissen Sinne scheitern muss, dass Bilder nicht vollendet werden können, nie fertig sind. Und die Anwesenheit des Künstlers im Bild scheint für F.M. gerade den Prozess der Bildherstellung zu sehr abzuschliessen.
Diese Melancholie ist denn auch ein Ausdruck der Gewissheit, dass vor allem eines nicht vollendet werden kann: die Verschmelzung von Künstler und Werk muss eine unstillbare Sehnsucht bleiben (oder vielleicht auch ein Alptraum, je nachdem). Der Autor darf höchstens als flüchtige Erscheinung, als Fluidum, als Gespenst anwesend sein. Dieses Scheitern des eigenen Im-Bild-Sein-Könnens ist vielleicht erst das wirklich Melancholische an der Kunst (im Gegensatz zu politischen Werken etwa), dass nämlich der Künstler in seinen Bildern eben gerade nicht zuhause ist, dass die Kunst dem Künstler nicht Heimat sein kann sondern höchstens eine angenehme Fremde.
Und die melancholische Grundstruktur seiner Wahrnehmungsmodelle, so glaube ich F.M. zu verstehen, würde durch die –wenn auch noch so schemenhaft undeutliche- Anwesenheit des gespiegelten Künstlerkörpers verstellt.
Da gäbe es dann schon den Bezug zu einer Geschichte, die F.M. nicht erzählen will.
Besser ist vielleicht das Bild eines Weges, eines Betrachtungsweges, vom Lichtschalter zu einer schwachen Imagination der Wand, zu den Autoscheinwerfern zum Nagel der die Imagination der Wand fixiert.und vielleicht dann von da aus zur Wahrnehmung der eigenen Spiegelung...

M. baut solche Wahrnehmungswege durch seine Modelle, ganz anders als die narrativen Wege der Wanderer durch die chinesischen Landschaftszeichnungen, aber mit ähnlich ausgeprägter Bewusstheit.

Indem der Künstler sich aus den Bildern entfernt, gelangt er auch vom Bildgegenstand "Nächtliche Spiegelung des Künstlerbetts" zu "Bilderlager des Künstlers" oder "Im Atelier".
Was heute genau in einem Künstleratelier vor sich geht und inwiefern sich diese Vorgänge überhaupt noch abbilden lassen (im Vergleich zu den Bildern aus Brancusis oder Picassos Atelier zum Beispiel), ist eine spannende Frage. Die zunehmende Nichtabbildbarkeit der Welt geht an der Welt der Kunst nicht vorbei. Ich vermute, dass das heutige Künstleratelier vor allem ein mentaler (teilweise ein medialer) Tätigkeits-Raum geworden ist, in dem dann, so wie in M.s kleinformatigen Bildern von Bilderlagern, nur noch ein paar, längst auswärts hergestellte oder fertiggestellte Werke zwischenlagern. Potenziale von möglichen Bildern, bei deren Anblick der Betrachter nun erst recht zum fast autonomen Autor der Werke von M. geworden ist.


"Hinter Glas" von Patrick Frey, erschienen im Künstlerbuch "dort ausserhalb "
von Flavio Micheli, Memory Cage Verlag Zürich 2000