iz3w - informationszentrum dritte welt
Aktion Dritte Welt e.V.
PF 53 28
D-79020 Freiburg i. Brsg.
Tel. 0049 761 74003
moni.hoffmann@iz3w.org
www.iz3w.org

Gegen die Zumutungen des globalen Kapitalismus,
gegen Rassismus oder das Gerede von "ethnischen Konflikten" wendet sich die
iz3w alle 6 Wochen auf 52 Seiten. Die Beiträge und Themenschwerpunkte
beschäftigen sich mit Weltwirtschaft und Entwicklungspolitik, mit
Soziokultur, Migration, sozialen Bewegungen und kritischen Theorien.




»Wahnsinn! Der war in Afrika«


Interview mit Emeka Udemba



Emeka Udemba war einer der wenigen Künstler, die an der 4. Plattform der documenta_11 in Lagos teilnahmen. In seinen Arbeiten vereint er Elemente afrikanischer und westlicher Kunst – versteht sich aber nicht als »hybrider« Künstler. Sehr kritisch sieht Udemba auf Kuratoren moderner afrikanischer Kunst, die immer wieder Künstler präsentieren, die den »Weg nach oben« schon geschafft haben.

Die documenta-Plattformen sind häufig dafür kritisiert worden, dass es dort nur um Wissenschaft ging, und die Diskussionen auf einer sehr theoretisch-abstrakten Ebene blieben. Teilen Sie diese Kritik?
Tatsächlich hatte das zentrale Thema der Plattform in Lagos direkt kaum etwas mit Kunst zu tun. Es ging um vier große Städte in Afrika, um Stadtplanung und zukünftige Stadtentwicklung. Künstler waren als Referierende nicht eingeladen. Für sie bot sich lediglich informell die Gelegenheit, mit Kuratoren, Wissenschaftlern und Journalisten zusammen zu treffen. Außerdem gab es kaum Möglichkeiten, sich mit der aktuellen Kunstszene in Lagos zu beschäftigen – und das, obwohl Enwezor mit der documenta_11 doch von dem bisherigen zentralistischen Zugang wegkommen wollte. So ist es ihm formal zwar gelungen, die documenta an verschiedene Orte der Welt zu tragen, aber in Lagos weiß nach wie vor niemand etwas über die documenta.

Was verbindet dann die Plattformen von Lagos und Kassel?
Mit der documenta soll nicht nur Kunst assoziiert werden. Die Veranstalter möchten ein breites Themenfeld schaffen, in dem Kunst mit anderen Formen kritischer Reflexion interagiert. Ob es tatsächlich klappt, eine Verbindung der einzelnen Plattformen herzustellen – und darin Kassel als eine der fünf Plattformen erkennen zu lassen – wird sich erst im Nachhinein herausstellen. Bisher ist jedenfalls die Kritik, die Kunst sei in den Hintergrund geraten, noch nicht zu entkräften.

Lässt das Konzept, Kunst für sozialwissenschaftliche Themen zu öffnen, auf einen sehr politischen Kunstbegriff der Kuratoren schließen?
Kunst stand schon immer in einem engen Zusammenhang mit Politik. Und auch politisch engagierte Kunst gibt es schon lange. Man denke in jüngster Zeit nur an die in den 60er Jahren entwickelte Idee der Konzeptkunst. Vielleicht strebt Enwezor eine Stärkung von analytischen und interventionistischen Kunstrichtungen an – aber es handelt sich dabei nicht um etwas wirklich Neues.

Dann verstehen Sie sich selbst auch als politischen Künstler?
Nicht grundsätzlich, aber im Moment hat meine Arbeit tatsächlich viele politische Untertöne. Ich kann Kritik und meine Position zu Verhältnissen, mit denen ich nicht zufrieden bin, am besten durch meine künstlerische Arbeit ausdrücken.

Haben sich bei dieser Arbeit Ihre Themen und Ausdrucksformen verändert, seit Sie in Deutschland leben?
Natürlich, Kunst ist nicht statisch, und der Umstand, dass ich jetzt in Deutschland lebe, hat meine Arbeit beeinflusst. So habe ich hier in Deutschland die Erfahrung von Freiheit gemacht, in einem politischen System zu leben, in dem man seine Meinung äußern kann, und in dem es Parteien gibt. Natürlich setze ich das ins Verhältnis zu Nigeria, wo zwar formal eine Demokratie vorliegt, es aber de facto nur eine Meinung gibt, nämlich die der regierenden Partei. Im Fernsehen sieht man den Präsidenten und den Präsidenten und die Frau des Präsidenten und wieder den Präsidenten.

Wie drückt sich das in Ihrer künstlerischen Tätigkeit aus?
Die Videoinstallation ‘Lost dreams’ zum Beispiel, die ich in Lagos gezeigt habe, will etwas von diesem postkolonialen Afrika darstellen. Vor der Unabhängigkeit vieler afrikanischer Länder wurde ja immer behauptet, die Europäer hätten uns kaputt gemacht. Mit der Unabhängigkeit sollte dann alles gut werden. Aber auch nach 50 Jahren Unabhängigkeit stecken viele afrikanische Länder noch im Bürgerkrieg, und die wirtschaftliche Situation ist miserabel. Warum? Meine Arbeit stellt viele kritische Fragen an die politische Elite. Denn es sind die gleichen Leute, die früher Militärs waren, jetzt als Zivile regieren und sich die Taschen füllen. Es tut mir weh, hier in Europa zu wohnen, wo alles funktioniert – die Straßenbahn, die Versorgung, das Krankenhaus – und in Nigeria fällt alle Nase lang der Strom aus, die Menschen sind arm, und manche haben seit 20 Jahren kein fließendes Wasser. Sie sollten sich Fragen stellen und sich dagegen wehren – aber die Leute akzeptieren das so. Als meine Arbeit im National Museum gezeigt werden sollte, sind viele davon ausgegangen, dass das sicherlich verboten würde. Aber das war mir egal und ´Lost Dreams´ ist dann ja auch ausgestellt worden. Ich glaube, solche Anstöße sind wichtig, denn die Bevölkerung muss sich endlich fragen, warum sie all das toleriert.

Verstehen Sie Ihre Arbeit dann als selbstkritischen Blick auf ihr Herkunftsland?
Nein, auf den ganzen Kontinent – Nigeria ist da nur ein spezieller Standort. Und natürlich beschäftige ich mich auch mit dem, was um mich herum passiert. Wenn ich zum Beispiel in München einen Freund besuche, muss ich im Zug ständig meinen Ausweis zücken. Wegen meiner Hautfarbe werde ich immer wieder von Polizei und Bundesgrenzschutz geweckt. Einem Weißen passiert das nicht. Das nervt und ist beleidigend. Die Arbeit ‘World White Walls’ (s. S. 25) ist ein Kommentar dazu und gleichzeitig der Versuch, mich zu wehren.

In ‘Consultations’ verbinden Sie Elemente afrikanischer Kultur mit eher westlich konnotierten Erzeugnissen: die Kalebassen, in traditionelle Stoffe gewickelt, dienen als Behälter für Fernsehmonitore. Das wirkt sehr harmonisch...
Nun, ich wollte mit dieser Arbeit eigentlich etwas anderes ausdrücken... Aber tatsächlich habe ich ja das Glück, beide Kulturen zu kennen, und ich möchte eine Verbindung in meinen Arbeiten herstellen. Ich glaube auch, dass es funktioniert. So fühle ich mich weiterhin mit der nigerianischen Kunstszene verbunden und drücke dies unter anderem darin aus, dass ich Materialien benutze, die einen Bezug zum Ort haben. Außerdem macht es mir einfach Spaß, westliche und afrikanische Elemente zu vereinen.

Die formale und inhaltliche Vereinigung westlicher mit nicht-westlichen Motiven wird häufig mit dem Begriff der Hybridität charakterisiert. Sind Sie ein »hybrider« Künstler?
Ich weiß nicht... »Hybrid« erscheint mir vor allem eine Kategorie zu sein; und zwar für nicht-westliche Künstler, die aus den verschiedensten Gründen nach Europa oder die USA gehen und dort weiterhin künstlerisch arbeiten wollen. Wenn aber ein Amerikaner oder ein Europäer nach Afrika reist und dort ein oder zwei Jahre lebt, dann heißt es, »Wahnsinn, der war in Afrika und hat diese Arbeit gemacht«. »Hybrid« ist das dann nicht. Für mich ist diese Kategorie eine Diskriminierung. In der Einrichtung solcher Kategorien spiegelt sich meines Erachtens das Grundproblem, dass der Westen weiterhin für sich beansprucht, die Moderne Kunst oder die Avantgarde alleine zu vertreten. Für neue Entwicklungen werden dann einfach neue Schubladen aufgemacht. Außerdem gilt generell noch immer alles nicht-westliche schnell als traditionell oder gar primitiv.

Heißt das, dass man von Ihnen im Grunde »authentische afrikanische Kunst« erwartet?
Sehr oft. Viele Europäer erwarten von einer Ausstellung eines Künstlers aus Afrika immer noch fröhliche Farben. Wenn man dann mit schwarz oder dunklen Farben arbeitet, ist die Enttäuschung groß. Die Vorurteile sitzen noch sehr tief, und das ändert sich nicht von heute auf morgen. So wird ein Künstler mit dunkler Hautfarbe sofort gefragt, woher er stammt – als ob damit alles gesagt wäre. Für mich ist aber Kunst einfach Kunst – gleich, woher man kommt. Was allerdings nicht heißen soll, dass man in seinen Arbeiten nicht jeweils spezifische Perspektiven auf die Welt einnimmt.

Was wird denn derzeit in Europa an afrikanischer Kunst ausgestellt?
Was viele Kuratoren hier unter dem Level moderner afrikanischer Kunst zeigen, bestätigt meines Erachtens allzuhäufig das Bild vom rückschrittlichen Afrika. Nehmen wir die Fotografie: In beinahe jeder Ausstellung hängen Bilder von Sidibé und Keita aus den 60er Jahren. Was soll denn das? Soll das heißen, es gibt keine moderne afrikanische Fotografie? Die Besucher fällen ihr Urteil aufgrund dessen, was sie zu sehen bekommen. Und wenn die Kuratoren nichts Neues in die Ausstellungen bringen, bleibt das Bild von der modernen Kunst in Afrika das alte. Dabei gibt es viele fotografische Arbeiten von jungen Künstlern. Die werden nicht gezeigt. Und das gilt auch für die großen Biennalen. Was dort von Afrika gezeigt wird, wirkt sehr oft als Bestätigung der gängigen Klischees.

Gilt das gleichermaßen für die Biennale von Johannesburg 1997, die ja auch Okwui Enwezor kuratierte?
Nein, die Biennale in Johannesburg war anders – was dort gezeigt wurde, war schon experimenteller. Aber alle dort ausgestellten Künstler sind jetzt schon seit Jahren Stars. Die Biennale war 1997 – seitdem gibt es keine neuen Namen. Alle Kuratoren beziehen sich nun auf diesen Katalog und suchen sich dort ihre Künstler aus. Niemand geht wirklich nach Afrika, um zu sehen, was es dort gibt. Und so sehen wir auf fast allen Biennalen die gleichen Künstler. Gut für die, die es geschafft haben – aber es gibt viele, die unentdeckt bleiben, weil die Kuratoren entweder Angst vor Afrika haben oder aus welchen Gründen auch immer dort nicht auftauchen. Sie schauen stattdessen in den vorliegenden Katalogen nach und präsentieren wieder und wieder bereits Gezeigtes.

Das aus dem Nichts entdeckte Genie bleibt also auch hier die Ausnahme. Lassen sich denn insgesamt die Bedingungen etwa der nigerianischen mit denen des westlichen Kunstmarkts vergleichen?
Nun, ‘Lost dreams’ zum Beispiel ist eine konzeptionelle Arbeit. Die Konzeptkunst eröffnet dem Künstler große Spielräume, seine Ideen umzusetzen, ist aber in Nigeria nicht sonderlich populär. Dort gibt es eine andere Kunstszene als hier. Man sieht Kunst eher als Broterwerb an und macht Kunst, die man verkaufen kann. Und eigentlich verkauft man dort besser – vielleicht, weil viele nigerianische Kunstsammler aus Leidenschaft sammeln: Sie kaufen, was ihnen gefällt.
Hier in Europa erlebe ich das anders. Man macht Kunst ausgehend von einer Idee, die man hat. Und es gibt Fördergelder, das heißt die Möglichkeit, diese Idee zu realisieren. Vor diesem Hintergrund haben die Künstler hier von vorne herein erhebliche Vorteile, da sie zunächst viel freier arbeiten können. Das hat ja auch zur Folge, dass viele Künstler aus dem Süden in New York, in Köln, in Japan leben. Allerdings funktioniert hier der Kunstverkauf stärker nach den Marktgesetzen: Die Sammler kaufen vor allem Arbeiten, von denen sie wissen oder zumindest hoffen, das sie sie in zwei Jahren gewinnbringend wieder verkaufen können. Auf diesem Kunstmarkt muss ein Künstler also ersteinmal den »Durchbruch« schaffen, und das heißt zunächst die Teilnahme an möglichst vielen Biennalen.

Und wie schafft er diesen Durchbruch? Wer oder was entscheidet über den Erfolg?
Dafür gibt es keine festen Kriterien. Manchmal ist es Zufall, meistens ein persönlicher Kontakt. Auf der documenta-Plattform in Lagos gab es beispielsweise die Chance, wichtige Kuratoren zu treffen. Die meisten sind dann auch offen und interessiert, etwas von deiner Arbeit zu erfahren. Und wenn man Glück hat, bekommt man auf Grund solcher persönlicher Kontakte eine Einladung. Das ist kein Vorwurf, denn es gibt einfach so viele Künstler – wie will man da entscheiden?


Emeka Udemba studierte von 1987– 1991 Kunst und Kunstpädagogik an der Universität Lagos, Nigeria. Er nahm an zahlreichen internationalen Ausstellungen in Afrika und Europa teil. Werke von ihm werden demnächst auf der DakArt-Biennale in Dakar zu sehen sein. Er lebt seit 1994 in Deutschland. Das Gespräch mit ihm führten Tina Goethe und Jochen Müller vom iz3w.