Madeleine Schuppli, Basel

Publiziert in "L/B", collection cahier d'artistes, Pro Helvetia 1998



Puppenspiele


Die ungarischen Zöllner scheinen sich ein wenig zu wundern. Da reist ein junges Paar mit Schweizer Pässen ins Land ein, und was bringen ihre Koffer und Taschen bei einem gelangweilten Augenschein zutage? Anstatt westlicher Label-Mode eine grössere Auswahl alter, ausgedienter Trainingsanzüge; bunte Ein- und Zweiteiler mit Streifen an den Seiten, Embleme von Sport- und anderen Provinzvereinen da und dort aufgedruckt, die Schnitte unisex und alles – versteht sich – 100% Polyester.

Es sind diese 70er-Jahre-Trainingsanzüge, die an Schulsport, Ferienlager oder Grippetage zu Hause erinnern, kurz dasjenige Bekleidungsstück, in dem man sich so herrlich ungezwungen fühlt und gerüstet ist für so gegensätzliche Betätigungen wie sportliche Leistungen einer- und vor dem Fernsehen Herumhängen andererseits. Sabine Lang und Daniel Baumann haben nicht vor, in den Mitbringseln durch Budapest zu spazieren; die Textilien sind ihr Arbeits-material. Im Galerieraum verleihen sie den Anzügen, indem sie sie mit Stoffresten ausstopfen, eine Körperlichkeit, die sie in figurale Objekte transformiert. Schwarze Frottiertücher ergeben die Kopfvolumen, Fingerhandschuhe und Socken komplettieren die Extremitäten. Die Kleider zeichnen die Abmessungen des Körpers an und erzeugen die Illusion menschlicher Präsenz. L/B gehen noch einen Schritt weiter, indem sie ihren Geschöpfen mit Computerprints von Fotografien Gesichter verleihen. Die ausgeschnittenen Papiergesichter werden mit ein paar Stichen auf die Puppen appliziert. Irritierend ist der Realismus der Physiognomien in Verbindung mit der plumpen Puppenhaftigkeit der Körper. Die Puppen werden in einem spannungsgeladenen Schwebezu-stand zwischen beseelter und unbeseelter Existenz wahrgenommen. Ihre Gesichter sind technisch restituiert, während die Abwesenheit eines vitalen Körpers durch die Positionierung der Puppen im Ausstellungs-raum thematisiert wird. Oft provoziert ihre Haltung Widersprüche zur Anatomie; Biegungen und Brechungen unterstreichen, dass nicht der menschliche Körperbau, sondern die Manipulation von aussen bestimmend ist. Puppen haben immer etwas Hilfloses an sich, sind sie doch der Willkür des über sie verfügenden Menschen ausgesetzt: als Dummies müssen sie mit 100 km/h auf eine Betonmauer zurasen, als Kinderspielzeug oder als erotische Spielware für Erwachsene sind sie den jeweiligen Wünschen ausgeliefert.

Für ihre Ausstellung in der Studio-Galerie in Budapest Anfang 1997 haben L/B zum ersten Mal solche Puppen realisiert und wenig später für die Ausstellung ”Quersicht” im Kunstmuseum Thun noch-mals mit den Dummies gearbeitet (Abb. Seite 20 - 23). Durch die Inszenierung im Ausstellungsraum wird klar, dass die Figuren nicht als solitäre skulpturale Objekte zu verstehen sind. Die Puppen von L/B treten immer in Gruppen auf und entwickeln ihre Kraft sowohl in der Beziehung zueinander als auch zum Ort. Eine Figur liegt flach wie ein Brett auf dem Rücken und definiert dadurch den White Cube mit seinen physikalischen Gesetzen und räumlichen Begren-zungen. Weitere Puppen liegen und sitzen – alleine oder in Zweiergruppen – der Wand entlang. Entkräftete Sportler nach der grossen Tat? Der Ausstellungs-raum wird von den Figuren, die ihn als Kunstwerke auszufüllen und mit Bedeutung zu definieren haben, aber nicht vorbehaltlos besetzt. Sie bleiben an den Rändern und befragen ihre Rolle als Ausstellungs-objekte, da sie ebenso als rezipierende Subjekte verstanden werden können, wodurch der Ort des ”wirklichen” Kunstwerkes völlig verunklart wird.

Ein Stück der vitalen Energie, die den Puppenkörpern fehlt, findet sich in den Gesichtern wieder. Sie tragen die Züge von Sabine Lang und Daniel Baumann. Die Künstler sind somit nicht nur symbolisch – durch ihr Werk – anwesend, sondern die Konfrontation mit den Autoren ist direkter geschaltet. Wie geklonte Exemplare verdoppeln und vervielfachen sich die Züge der beiden Individuen und zeigen die ganze Palette menschlicher Mimik: von Lachen zu Dösen, von Staunen zu Erschrecken, von Observieren zu Flirten. Durch die Multiplizierung sind Lang und Baumann als ästhetische Phänomene omnipräsent, entziehen sich aber dem vertieften Zugriff des Betrachtenden – es ist das Prinzip des Spiegellabyrinths, in dem wir das eigene Ich durch dessen beängstigende Multiplizierung zu verlieren glauben, da das eigene Bild keinen festen Ort mehr findet.

In ihrer dritten Arbeit mit Sportlerpuppen – realisiert im Rahmen der Ausstellung ”Nonchalance” im Centre PasquART in Biel – erweitern L/B die Inszenierung zu einer kohärenten Installation. Die Dummies sind in einem riesigen Autobus angereist, dessen Fahrer die Abzweigung zum Parkplatz verfehlt hat, so dass das Gefährt jetzt im Vorgarten des Museums steht. Die Nicht-Ortskundigen scheinen gestrandet, doch die Stimmung der Gruppe hat dies nicht gedämpft. Die offene Vordertür lädt zum Eintreten ein, die Shadows verbreiten über die Lautsprecher seichte Easy-listening-Fröhlichkeit; einladende, erwartungsvolle, aber auch wirre oder erschrockene Blicke richten sich auf die Eintretenden. Darf man sich dazusetzen? In was für eine merkwürdige Gesellschaft ist man da geraten? Reisegruppen haben stets etwas irritierend Hermetisches, sie funktionieren wie Verbrüderungen gegenüber der Welt, deren Begegnung sie eigentlich suchen. Der Reisebus dient als rollender Zufluchtsort, den man nicht unbedingt verlässt; niemand scheint etwas zu entbehren, und so harren alle der Dinge, die da kommen: spielend, lesend oder schlafend. Die Figurengruppe hat als ganze eine solche Präsenz, dass wir uns in unserem ungeniert voyeuristischen ”Kunstschauen” durch die auf uns gerichteten Blicke eingeschränkt fühlen. Die Künstler-Betrachter-Schiene funktioniert in beide Richtungen, und es fragt sich, wer hier wen beobachtet.

Wie eine Uniform neutralisieren die Trainingsanzüge die einzelnen Figuren und unterstreichen die Geschlossenheit der Gruppe. Die Bekleidung weckt nicht nur Erinnerungen an Jugendtage, sondern hat in bestimmten Segmenten der visuellen Alltagskultur der 90er Jahre Signalwirkung. Originalstücke der 70er aus dem Second-hand-Shop wurden in der Technoszene zum Partyoutfit. Nicht nur durch ihre Verwendung der Mode, sondern auch in ihrer visuellen Gestaltung, dem Einsatz des Computers und in ihrer Auseinander-setzung mit Musik zeigen L/B Affinitäten zur Technokultur. Die Shadows sind beispielsweise nicht nur beliebte Backgroundmusik, sondern gehören auch ins aktuelle Ambient-Repertoire. Sie kennen keine Berührungsängste mit dem Modischen und verankern das Werk, wie auch seine Rezeption, ganz in der Aktualität. In einem Gespräch formulierten sie: ”Kunst ist Kommunikation, und somit ist der Begriff ‘Zeitlosigkeit’ in diesem Zusammenhang unsinnig. Wenn eine Arbeit technisch oder inhaltlich einer ganz bestimmten Zeit zugeschrieben werden kann, so wird sie dadurch noch lange nicht ungültig oder uninteressant.”

Am Anfang ihrer Zusammenarbeit als Künstlerpaar stehen bei L/B gemeinsame fotografische Selbstinszenierungen, wobei sie zuerst mit Bild-Schrift-Kombinationen arbeiteten, während neuerdings die Beziehung Figur – Objekt wichtig wurde (Abb. Seite 4 - 11). Der menschenleere Strand oder das gemeinsame Schlafzimmer bilden die Kulisse, in der sie das Rollenspiel sichtlich lustvoll ausleben. Den eigenen Körper drängen sie teilweise in verkrümmte Haltungen, die wiederum an die Posen der Puppen denken lassen: wie im Traum des Zauberlehrlings sind die Puppen nun lebendig geworden. Die Fotografien fangen die Szenarien als gefrorener Moment ein, die Bilder scheinen Stills aus einem nicht existenten Film; angeschnittene Narrationsstränge, untereinander konfus verknotet, laufen in Momentaufnahmen zusammen.

L/Bs Fotoarbeiten sind in ihrer Abkehr vom Objekt hin zum Ins-Zentrum-Stellen der eigenen Person und des eigenen Körpers Teil einer sich in den 90er Jahren breit manifestierenden künstle-rischen Strategie. Es geht ihnen jedoch nicht darum, die menschliche Existenz als ästhetisches Phänomen zu analysieren. Die Bild-autoren sind sich vielmehr selber die naheliegendsten Modelle und agieren als Statisten ihrer Selbstinszenierungen: es sind fotografische Selbstdarstellungen, jedoch keine Selbstbe-fragungen. Sabine Lang und Daniel Baumann spielen Rollen, die sie nicht – etwa wie Anna und Bernhard Blume – konkret charakterisieren, sondern sie beziehen sich eher auf die eigene Rolle als Künstler, und tradierte gesellschaftliche Erwartungen und unterschwellige Rollenzuweisungen werden aufgenommen: Künstler als gesellschaftliche Hofnarren, als chaotische Aussenseiter oder als – die Avantgardisten der Moderne ablösende – Trendsetter.

Obwohl L/B auf den Fotografien immer gemeinsam erscheinen, findet keine Thematisierung der Zweierbeziehung statt. Es geht ihnen vor allem darum, die Spannung und Dynamik im Paar zu nutzen. Durch das Aufgehen ihrer Namen im Logo L/B setzen Lang und Baumann ein Zeichen für das Aufgehobensein des Künstlerindividuums im Kollektiv, wobei die Initialen auch formal zu einem Logo verarbeitet wurden und damit halb ironisch, halb affirmativ Produktlabels imitieren. Labelkult, wie auch seine spielerische Unterwanderung, ist fest verankert in der Alltagskultur der 90er.

Ausgangspunkt für die Foto-Szenarien bilden die verwendeten Objekte in Verbindung mit dem jeweiligen Schauplatz. Gegenstände werden zusammenramassiert, so dass eine irritierende Konzentration von Dingen rund um die Protagonisten entsteht. Die Doppelrolle der Künstler als Subjekt/Objekt bringt es mit sich, dass die unmittel-bare Kontrolle des mit Selbstauslöser aufgenommenen Bildes nur begrenzt möglich ist. Die Aufnahmen entstehen mit einem bestimmten Tempo, die Spontaneität ist keine vermeintliche: Eine wie zufällig in den Sand geworfene Colaflasche hat zwar ihre Funktion im Bild, ist jedoch nicht – wie bei Jeff Wall, dem Übervater der inszenierten Fotografie – Resultat einer akribischen Reflexions- und Vorberei-tungsphase. Überlegungen bezüglich der Bildkomposition werden an einem gewissen Punkt gestoppt, um die Unvermitteltheit und Leichtigkeit der Szenarien nicht zu gefährden. Dies überträgt sich auch auf die Konfrontation der Betrachtenden mit dem Bild. Bei den Schlafzimmer-Fotos haben wir das Gefühl, uns in der Zimmertüre geirrt zu haben. Vor allem durch das heillose Durcheinander ergibt sich die Gewissheit, dass das ganze Szenario nicht für unsere Augen bestimmt ist. Das Schlafzimmer, imtimster Ort der Wohnung, wird öffentlich preisgegeben, wobei es sich nicht um die eigenen vier Wände der Künstler handelt, sondern – wie die Durchschnitts-einrichtung verrät – um ein vormöbliertes Provisorium. L/B wollen nicht in einem ”Sittenbild” das reale private Milieu analysieren, sondern auf einer abstrakteren Ebene eine allgemeinere Befindlichkeit evozieren.
Die Objekte, die sie etwa für die Strandbilder zusammengetragen haben, entstammen, neben Alltäglichem wie Decken oder Crackerschachteln, dem Bereich der Freizeit- und Unterhaltungsgüter: von den Plastikpistolen zur Sporttasche bis zum Hawaiihemd. Die Gegenstände werden auf ihre Funktion sowie auf ihren ästhetischen Reiz hin befragt, und ihre Nutzung wird im Bild überprüft und durchgespielt. So hantiert die weibliche Figur in den Strandbildern beispielsweise mit dem aufblasbaren Sessel und führt auf wenig einleuchtende Weise seine Verwendung vor. Auch offizielle Gebrauchsanleitungen ergeben oft nicht mehr Sinn. Da der tatsächliche Nutzen aber teils äusserst bescheiden ist – das auf den Strand-bildern erscheinende ”Bett-Zelt” sei als Beispiel angeführt –, muss das Bedürfnis geschaffen werden. Die Ware funktioniert im Marxschen Sinne dadurch als Fetisch, dass Dinge nur noch als Ware wahrgenommen werden und dass deren Tauschwert nicht mehr vom Gebrauchswert bestimmt wird, sondern an ein Konsumations-Glücksversprechen geknüpft ist. L/Bs Strategie ist jedoch nicht die des Sozialkommentars, sondern der Pointierung. Der Mechanismus des Konsums wird mitgetragen – die Objekte wurden ja gekauft –, aber gleichzeitig ist es auch eine Strategie, mit der Konsumflut umzugehen. Das unveränderte Aufgreifen von Konsumgütern und die wert-neutrale Haltung der Trivialkultur gegenüber sind Erbstücke der Pop Art, die von einer jungen Künstlergeneration wieder aufgenommen wurde. L/B pflegen ein unproblematisches Verhältnis zur Alltagskultur, wenn auch nicht ein unhinterfragtes. Sie begegnen der gesellschaftlichen Wirklichkeit mit Humor und leichtfüssiger Ironie.

Madeleine Schuppli