Texte zu Renée Levi



Renée Levi: «eyes»
Wandmalerei in der Schalterhalle der UBS Basel, Freienstrasse


von Samuel Herzog

Zunächst finden wir in dieser Kunst, die sich die UBS für die Schalterhalle ihrer Filiale an der Freienstrasse in Basel geleistet hat, nur herzlich wenig Kunst. Ein paar gesprayte Linien an der Wand – das hätten wir wohl auch gekonnt. Dieser erste Eindruck ist typisch für viele Arbeiten von René Levi: Ob sie nun einen Duschraum mit gelben Kacheln auskleiden lässt, blaue Industriefilter zu einer Bühne schichtet oder eine verglaste Fassade flächendeckend mit fröhlich gemusterten Vorhängen versieht, stets ist die technische Raffinesse eher gering, erscheinen Aufwand und Kunstfertigkeit beinahe bescheiden. In frappantem Gegensatz zu dieser Zurückhaltung in der Ausführung jedoch sind die Arbeiten immer sehr auffällig – ja auf eine trotzige Art fast schon protzig. Während ein künstlerisches Verhalten dieser Art in Museen oder Galerien wohl noch eher hingenommen wird, dürfte es in öffentlichen Räumen gelegentlich widerwillige Reaktionen auslösen – ähnlich wie zum Beispiel die riesigen gesprayten Namenszüge auf Eisenbahnwagen oder Mauern: Gegen «gute» Sprayereien ist ja nichts einzuwenden, aber das hier...

Diese Mischung aus dem Verzicht auf jede handwerkliche Bravour und einem beinahe pompösen Auftritt formuliert präzise eine Provokation, zwingt uns dazu, Haltung einzunehmen. So auch im Fall der Arbeit für die UBS. Wer die Schalterhalle betritt, kann Levis Kunst nicht übersehen: Riesig, rot und fluoreszierend leuchtet sie uns von der Rückwand des Raumes entgegen, dominiert eindeutig die ganzen eher kleinteiligen und heterogenen Dekoreinfälle der Architekten. In einer Zeit, da sogenannte Kunst am Bau immer noch meist durch grösste Diskretion bestimmt ist und oft in einer Art Dienstverhältnis zur Architektur steht, überrascht eine so stark betonte Autonomie des künstlerischen Eingriffs.

Auch der genauere Blick auf die Arbeit von Renée Levi bestätigt den Eindruck, dass sich die Kunst hier in fast jeder Beziehung über die Architektur hinwegsetzt: Ausgangspunkt und Zentrum der Malerei sind vier Überwachungskameras auf der rückwärtigen Wand, die auf die vier offenen Kundenschalter davor ausgerichtet sind. Das macht nicht nur die Klienten darauf aufmerksam, dass sie bei aller Offenheit der Bank (Fehlen von Panzerglas etc.) doch ständig beobachtet werden, sondern erinnert auch in einer durchaus humorvollen Weise an Adornos Metapher vom Bild, das die Augen aufschlägt und zurückblickt.

Um die vier Kameras herum hat Renée Levi Linien gesprayt, die an Höhenkurven auf Landkarten erinnern. Diese amorphen Formen gehen weiter aussen in ein Raster aus horizontalen Bändern über und schlagen dann am Rand in ein vertikales Muster um, das die Binnenformen wie eine Bordüre einfasst. So entsteht der Eindruck eines Teppichs, der vor der Wand zu schweben scheint. Wie sehr sich hier das «Bild» über die Architektur hinwegsetzt, zeigt sich ganz deutlich im Bereich der Tür in dieser Wand: Die Malerei setzt sich zwar auf der Tür selbst fort, das Gewände jedoch bleibt weiss. Damit wird nicht nur die Flachheit des Bildes betont, son-dern es wird auch die Faktizität der Malerei (Farbe und Form) zurückgedrängt zu Gunsten der Illusion - der «Teppichs» beansprucht hier einen eigenen Raum und damit auch eine eigene Realität.

Wer vor diese Wand tritt, steigt immer auch in diesen Raum der Malerei ein und wird quasi zum Bestandteil ihrer Realität: Die Bürotische, Regale und Bedienungselemente der Bank können so als eine Möblierung des Bildes betrachtet werden, die Angestellten operieren als Figuren im Bild und ebenso die Kunden, die vom Eingang her an die Schalter herantreten. Vor dem Hintergrund, dass man diese Sprayerei an der Wand auch leicht als eine Provokation empfinden kann, könnte man sogar sagen, dass zum Beispiel die Kunden so nicht nur von Beobachtern zu Beobachteten werden, sondern auch von Provozierten zu Provokateuren.

Denn komplett und lebendig wird das «Bild» von Renée Levi erst durch die Menschen, die vor ihm oder vielmehr «in» ihm agieren – ähnlich wie auf der Bühne eines Theaters. Wo die Grenze zwischen Bühne und Zuschauerraum verläuft, wo genau man ins Bild tritt, ist zwar nur schwer zu sagen. Doch gibt es, auch wenn man wohl immer gleichzeitig Beobachtender und Beobachteter ist, deutliche Unterschiede: Je nach Position im Raum ist man eher observierende Randfigur oder eher observierter Protagonist.

Indem wir quasi gezwungen werden, uns «im» Bild zu positionieren, kommen wir nur schwer umhin, auch eine Haltung «zum» Bild einzunehmen. Vielleicht beobachten wir das Geschehen hier plötzlich wie ein aufregendes Theaterstück oder reflektieren die Art und Weise wie die Bank hier im Raum eine Atmosphäre des Vertrauens und der Dynamik inszeniert. Vielleicht denken wir auch darüber nach, wie wir hier gleich doppelt zu Bestandteilen eines Bildes werden: Nicht nur vor Levis «Bühne», sondern auch – auf einem Bild-Schirm irgendwo – durch die Kameras, die uns filmen. Ja vielleicht überlegen wir auch, wie wir diesen Raum wohl ohne das Kunstwerk wahrnehmen würden, ob wir anders blicken würden, ob uns zum Beispiel die Überwachungsanlage aufgefallen wäre. Oder wir fragen uns, wer von den «Anderen» sich wohl bewusst und wer unbewusst als Figur in diesem Bild fühlt, wer beobachtet, wer sich ärgert, wer welche Rolle spielt und wie. «Eyes», nennt die Künstlerin ihre Arbeit – wir sind angeregt, die unseren aufzusperren.




erschienen in 'Neue Zürcher Zeitung' 2000