Texte zu Renée Levi



Vom blauen Zauber in grossen Babyaugen
Renée Levi in der Kunsthalle Basel


von Samuel Herzog

Blau, blau, blau. So ist der erste Eindruck beim Betreten des Oberlichtsaales in der Basler Kunsthalle. Hier hat die in Basel und Nizza lebenden Künstlerin Renée Levi (1960) eine gewaltige Menge grosser Blöcke aus blauem Filterschaumstoff, wie er in der Industrie verwendet wird, zu einem bühnenartigen, etwa brusthohen Kubus geschichtet. Das intensive Blau der Blöcke dominiert den ganzen Raum, reflektiert auf den Wänden und im Gewölbe und verleiht dem Saal die Atmosphäre einer Schwimmhalle – mit umgestülptem Becken. Die Materialien stammen direkt ab Fabrik und werden in der Kunsthalle lediglich zwischengelagert, denn nach dem Ende der Ausstellung werden sie ihrer ursprünglichen Funktion gemäss in der Industrie weiter verwendet. Als eine Art Gegenakzent zu der mächtigen blauen Masse hat Levi etwa auf Blickhöhe und in Abständen von rund einem Meter kleine blaue Punkte auf die Wand gesprayt, so dass der Blick zwischen dem mächtigen Körper und der gepunkteten Wand hin und her gleitet und die beiden Dinge permanent in Beziehung setzen muss.

Die Wände des anschliessenden kleineren Raums sind mit goldfarbenen Kringeln versehen, die einen schlüssigen Kontrast zum Blau im Hauptraum darstellen. Auf der Trennwand zum Oberlichtsaal ist eine Art Fenster ausgespart, das mit nachtleuchtender Far-be ausgemalt ist. Helles Gelb bestimmt den letzten Raum, durch dessen Fenster wir auf die Platanen im Hof der Kunsthalle blicken: Vor die eine Mauer sind hier zwölf in unterschiedlicher Art bemalte Tafeln montiert, deren gelbes Licht sich auf der gegenüberliegenden zu brechen scheint. Schon schliessen wir auf einen ähnlichen Effekt wie im Hauptsaal, doch bei genauerem Hinsehen erkennen wir, dass die Reflexionen teilweise aufgemalt sind.

Vor allem vom dunkelsten Raum mit seinen goldenen Wänden aus er-schliesst sich die ganze Arbeit wie eine Architektur in der Architektur: Wie aus einer Loggia blicken wir auf der einen Seite hinaus in einen Hof mit Wasserbecken, dessen blaues Strahlen bis an die Schwelle des Goldraumes dringt. Auf der anderen Seite dominiert das gelbliche Grün der realen Bäume vor dem Fenster im Chor mit dem leuchtenden Gelb in dem kleinsten Raum. Die Verwendung von nachtleuchtender Farbe erinnert ausserdem daran, dass sich die Wirkung dieser Anlage mit dem Licht und der Tageszeit verändert. Nachts dürfte das kleinste und letzte Zimmer mit seinen gelblichen Wänden wirken, als sei es vom Licht des Mondes erhellt und das «Fenster», das vom goldenen Raum zu der blauen «Schwimmhalle» hinaus geht, wird grünlich leuchten, als seien Blau und Gold der beiden Räume eins geworden.

Es ist eine ideale Architektur, bestehend aus grossen farblichen Einheiten, die Renée Levi hier inszeniert. Fast fühlt man sich wie in der Architektur eines Bildes, stets sind wir Betrachtende und beobachtete Figuren zugleich. Dass wir im Bild sind, wird uns schon dadurch deutlich, dass sich die Farbtöne der jeweiligen Räume auf unseren Gesichtern reflektieren. Die Wirkung des Bildes, vor allem des grossen farbigen Körpers im ersten Raum, hängt davon ab, wo wir stehen und wie viele andere Personen gleich-zeitig in dem Raum sind. Der blaue Kubus steht nicht genau in der Mitte des Saales: auf zwei Seiten lässt er einen recht breiten Durchgang frei, sonst aber nur einen schmalen Spalt. Vom breiten Durchgang aus können wir den Kubus optisch auf Distanz halten, von dem schmalen Spalt aus jedoch wirkt die blaue Masse – vor allem wenn ausser uns niemand in dem Raum weilt – bedrängend und ist von einer ähnlich beunruhigenden Präsenz wie Richard Wilsons grosser Ölsee «20:50», der in der Londoner Saatchi Collection fest installiert ist. Kaum geht jedoch ein anderer Besucher gegenüber durch den breiteren Gang, wird das grosse Nichts aufgelöst und eine erzählerische Komponente kommt ins Spiel.

Renée Levi legt in ihrer Ausstellung nichts fest, sondern bietet den Besuchern eine Vielzahl möglicher Erlebnisse – nicht nur visueller Art, sondern auch haptischer und olfaktorischer. Der Schaum riecht entschieden nach «neu» und kann nicht nur angefasst, sondern sogar bestiegen werden – was allerdings eine äusserst unsichere Angelegenheit ist, wie Peter Pakesch und Madeleine Schuppli am Eröffnungsabend demonstrierten – eine slapstick-artige Seefahrtsperformance ohne Schiff.

In dem Videoband allerdings, das die Schau abrundet, ist die Wahrnehmung wieder ganz auf das Sehen reduziert: In Levis erster Videoarbeit «Leroy Merlin» blicken wir aus grosser Nähe in das Gesicht eines kleinen Kindes und lesen das Staunen in seinen Zügen. Erst nach einiger Zeit erkennen wir auch den Grund für diese Verwunderung: Das Kind wird von seiner Mutter durch die Regalschluchten eines Heimwerkerladens getragen und die ganzen bunten Geräte, Werkzeuge und Materialien spiegeln sich in seinen Augen. Gleichzeitig reflektiert die Haut des Kindes den wechselnden Farbton der Umgebung – ganz so wie unsere Gesichter das Blau der Industriefilter zurückstrahlen. Selbst bewegen kann sich das Kind dabei allerdings nicht und natürlich darf es auch nichts anfassen – in seiner Wahrnehmung ist es ganz auf die Augen angewiesen.





erschienen in 'Basler Zeitung' April 1999