Texte zu Renée Levi



Grosse Behauptung - vom Betrachter erfüllt
Renée Levi im Musée d'art moderne et contemporain (mamco), Genf


von Samuel Herzog

In René Levis Kunst finden wir zunächst nur wenig Kunst. Vor vielen ihrer Arbeiten nämlich stellt sich ziemlich bald einmal der Gedanke ein, dass man dies oder jenes wohl auch selbst hätte ausführen können - mit zumindest vergleichbarem Ergebnis. Ob sie nun einen Duschraum mit gelben Kacheln auskleiden lässt, blaue Industriefilter zu einer Bühne schichtet wie vor Jahresfrist in der Kunsthalle Basel oder eine verglaste Fassade flächendeckend mit fröhlich gemusterten Vorhängen versieht, stets ist die technische Raffinesse eher gering, die Kunstfertigkeit bescheiden. In frappantem Gegensatz zu dieser Zurückhaltung in der Ausführung jedoch sind die Arbeiten immer sehr auffällig und lösen beim Publikum somit gelegentlich ähnliche Reaktionen aus wie etwa die riesigen gesprayten Schriftzüge auf den Mauern entlang von Bahngeleisen: Gegen gute Sprayereien ist ja nichts einzuwenden, doch das hier... Diese Mischung aus handwerklicher Nachlässigkeit und einer trotzigen Protzigkeit im Auftritt formuliert präzise eine Provokation, zwingt uns dazu, Haltung einzunehmen. Das illustriert auch die Arbeit, die Renée Levi derzeit im Rahmen des Projekts «Vivement 2002! - troisième épisode» im Genfer Musée d'art moderne et contemporain (mamco) zeigt. Die Holzwände zweier fensterloser Räume sind hier in engen Schwüngen mit leuchtend oranger Farbe besprayt: Dabei ergibt sich keine durchgehende Musterung sondern ein nervöses Gewimmel aus einer Vielzahl von eher kleinen und immer wieder hart aufeinandertreffenden Binnenmustern - bedingt dadurch, dass die Wandplatten offenbar zuerst bemalt und dann montiert wurden. Wer diese Räume betritt, hat sich entschieden, in ein Bild einzusteigen und zur Figur zu werden, die sich in ungewohnter Umgebung bewegt. Und genau darin liegt der Reiz: Von der malerischen Geste her formuliert Levis Kunst die grosse Behauptung, pocht sie auf Autonomie - vollständig und lebendig aber wird das Bild erst durch den Betrachter, der nicht nur Beobachtender und Beobachteter gleichzeitig ist, sondern - indem er sich in dieser Kunst positioniert - auch Provozierter und Provokateur.

Renée Levi: Berman was Here, Pera. Vivement 2002! - troisième épisode. Musée d'art moderne et contemporain (mamco), Genf. Bis 21. Januar 2001.






erschienen in 'Neue Zürcher Zeitung' 10.12.2000