Texte zu Renée Levi



Wir sollten alle unsere Namen wie Zeichen,
wie flüchtige Graffitis lesen können.

Aus einem Gespräch zwischen Necmi Sönmez und Renée Levi

Necmi Sönmez: Liebe Renée, in den letzten Jahren waren deine Arbeiten in wichtigen Gruppenausstellungen wie Malerei als Erinnerung (Aarau, Beat Wismer), Painting on the Move (Basel, Bernhard M. Bürgi) zu sehen. Da war zu beobachten, dass du neben den Arbeiten auf Karton, Gips, Aluplatten, Leinwand oder MDF-Platten die fluoreszierende Farbe direkt auf die Wand gesprayt hast, während du in dieser Ausstellung zum ersten Mal Folie als Bildträger benutzt. Welchen Einfluss hat die Wahl des Bildträgers auf die Wahrnehmung deiner Malerei?
Renée Levi: Sprühen kann man auf alle Oberflächen. Im Folkwang betrachte ich die bereits im Raum vorhandenen matt-grauen Tapeten als Bildträger. Ich kaschiere diese Tapeten mit zuvor gelb besprühten hoch-weißen Folien. Diese Folien ziehen sich wie eine glänzende zweite Haut über die Wände und zeigen in den Lichtreflektionen die Beschaffenheit der Ausstellungswände, die Struktur der Tapeten. Die gesprühten Zeichnungen aber erscheinen wie projiziert und stoßen sich nicht an den Unebenheiten der Wände. Die Folie zwischen Tapete und Zeichnung zeigt zwei Oberflächen; diejenige der Ausstellungswände und diejenige der Zeichnung.
Mit meiner Arbeit suche ich eine Qualität von Ambivalenz, die sich nicht auflösen lässt, sondern die sich immer wieder neu auflädt. Das Sprühen steigert dieses Phänomen des Nichthalten- und Nichtfassen-könnens, weil der Sprühstaub die Ränder des Strichs, dessen Konturen, auflöst.

N S: Die Farbe bestimmt die Raumwahrnehmung: Einerseits entsteht durch den präzisen Einsatz von Farbe ein verwandelter als auch ein sich verwandelnder Raum, in dem sich etwas anderes ereignet, als ob sich da andere Energien zu bündeln scheinen, ein Zwischenraum entsteht. Andererseits ist Raum funktional, er wird von Menschen benutzt, die ihrer Arbeit nachgehen (vgl. Eyes in der Schalterhalle UBS Basel): (Raum)Bewegungen von Kommen und Gehen, Geben und Nehmen.
Du hast Architektur studiert. Ich meine, dass dir diese Auseinandersetzung ein direkteres Ver-ständ-nis der räumlichen Bedürfnisse des Menschen gegeben hat. Könnte man das Architektonische in deiner Arbeit, das sich in den Installationen, den Wandprojekten und den temporären Eingriffe zeigt, als künstlerische Strategie begreifen?
R L: Ich verfolge keine Strategien. Mich interessiert nicht die Architektur an sich, und wenn, dann beschäftigt mich das urbane Gefüge als Ganzes. Es geht mir in meiner künstlerischen Arbeit nicht um die Befragung und Umgangsweise mit Architektur, sondern um die Setzung von Zeichen, die einen Dialog zwischen Bild und Betrachter entstehen lassen und diesen ausrichten, ihm eine bewegliche Rahmung geben.
Das bedeutet einen immer wieder neuen Umgang mit der spezifischen Situation. Auch das einzelne Museum ist ein bestimmter Ort, es ist Konzept, Begriff, konkreter Raum und jedes Museum verkörpert seine eigene Geschichte. Die 40cm hohen Lüftungsgitter, welche den Ausstellungsraum im Museum Folkwang prägen, bilden einen Sockel, der die Präsenz der Wand als Ausstellungswand massiv beeinträchtigt. Oder die Eingangssituation mit dem diagonalen Zugang in den Ausstellungsraum, die einem ohne Halt ins Vage laufen lässt: Ich musste mich auf diesen Raum einlassen, will ihn aber neu definieren. Durch die Setzung zweier zusätzlicher Wände will ich als bildende Künstlerin die Situation neu verorten um meine Intention visuell umsetzen und materialisieren zu können. Ich will die Bewegung des Betrachters vor Ort erlebbar machen.

N S: Wann und aus welchem Grund hast du damit begonnen, deinen Arbeiten Titel von Namen von Stadtvierteln aus Istanbul zu geben? Resultiert das aus einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Lebensgefühl, das die Stadt prägt?
R L: Zum ersten Mal verwendete ich solche Titel 2000 für die Installation im mamco (musée d’art moderne et contemporain) in Genf. Ich erarbeitete die Installation vor Ort in der Eingangshalle des Museums und nahm gelegentlich die französischen oder sonst wie fremdsprachigen Textfragmenten der Passanten wahr. Es tauchte die Erinnerung auf an meine Verwandten in Istanbul, die alle Sprachen durcheinander reden: Ladino, Französisch, Türkisch mit- und durcheinander. Ich nannte den einen Raum der Installation Pera, was auf das ehemals jüdische Viertel in Istanbul Bezug nimmt. Pera ist auch mein Geburtsort und markierte damit sozusagen einen doppelten Ausgangspunkt.
Erst nachdem unsere engere Familie in die Schweiz übersiedelt war, bemerkte ich aus der Distanz, wie sehr die Sprachen mein Bild von Istanbul geprägt hatten. Die Erinnerungen an Istanbul zusammen mit den unmittelbaren Erfahrungen in der neuen Umgebung führten zu einem inneren und äußeren Chaos, das mir sehr gefiel. Das war sehr prägend, denn in diesem Chaos fühle ich mich noch heute zuhause. Der Klang einer Sprache, der Klang einer Stimme, die Melodie eines Dialektes kann mich in andere Welten versetzen. Jeder neue Dialekt schafft eine neue Identität. Ich liebe dieses Gefühl, in mehreren Sprachen zu denken und zu fühlen. Es ist die Voraussetzung, sich auf fremde oder neue Welten einlassen zu können, akustisch wie visuell.

N S: Du bist als 4-Jährige mit deinen Eltern und deinem Bruder von Istanbul in die Schweiz gekommen. Spielen in deinen Arbeiten deine Kindheitserinnerungen eine starke Rolle? Ich denke besonders an Pera oder Galata, die Bezug nehmen auf den (Lebens)fluss der Stadt als auch ihre spezifische geographische Konstellation, an der Schwelle zwischen ver-schiedenen Kulturen und zwischen Orient und Okzident. Der intensive Farbauftrag scheint den Rhythmus der Stadt widerzuspiegeln.
R L: Die Titel entstehen meist erst nach Fertigstellung einer Arbeit. Ich sehe sie mehr als Spiel mit Irritationen denn als Erläuterung. Tatsächlich habe ich mich bei den vielen hellen runden Knäueln in der Arbeit im Museum für Gegenwartskunst in Basel auch an den weißen Smog-Schleier über der Galatabrücke in Istanbul erinnert. Sonst erinnere ich mich selten an den Prozess des Machens. Das Wo, Wie und Wann eines Arbeitsprozesses gleicht oft mehr einem schwarzen Loch, einem sprach- und bildlosen Raum, und das ist auch gut so.
Meine Titel sind Fragen, die sich auch an mich richten. Warum mache ich diese Kringel und Punkte und Lineaturen? Ich schätze die Andersartigkeit von Titeln, die Fragendes in sich tragen.

N S: Bis jetzt hast du ausschließlich den europäischen Teil der Stadt in die Titel deiner Arbeiten einfließen lassen. Mit der Arbeit Sar
|yer, die du speziell für das Museum Folkwang gemacht hast, näherst du dich sprachlich und geographisch dem Bosporus. Meiner Meinung nach herrscht dort ein anderes Lebensgefühl, da die ruhige Strömung des Bosporus’ Einfluss auf das Leben der Menschen hat. Was bedeutet das im Hinblick auf die Wahrnehmung deiner Arbeit?
R L: Leider kenne ich Istanbul viel zu wenig, um über die Wasserströmungen am Bosporus reden zu können. Aus dem Türkischen übersetzt heisst Sar
|yer "gelber Ort". Mich irritierte Sar|yer als Name für eine Ortschaft. In meinen Arbeiten ist der bestimmte Bezug zu einer spezifischen Farbe an einem spezifischen Ort ein sich wiederholender Umgang mit unterschiedlichen Situationen. Die Arbeit heißt nicht "Sar|yer", weil ich mit Gelb arbeiten wollte, sondern weil ich die Wahrnehmung eines Ortes thematisieren will. Ein Titel gibt einer zuvor namen- und sprachlosen Erfahrung einen Namen. Beim Benennen geht es auch um das Verstehen an sich, das ich auch unterlaufe bzw. gerade zum Thema mache, weil der Name etwas sagt, benennt, was da ist, aber doch nur als Vorstellung und Erfahrung anwesend ist.

N S: Das Bild (von) Istanbul löst eine mehrsprachige Wahrnehmung bei dir aus. Was meinst du damit?
R L: Beim Sprayen versuche ich das Sprayen, die Farbe, die Zeit und mich selbst zu vergessen. Ich möchte aus meiner Hülle entschwinden. Es gibt eine Lücke, eine Differenz zwischen dem Machen und dem Nachdenken und dem Reden über ein Bild. Wir können mit Sprache versuchen, dem Kern der Sache näher zu kommen, wir müssen sogar diesen sprachlich verfassten Dialog führen, um etwas verfolgen und nachvollziehbar machen zu können. Ich traue aber der Sprache nicht und bin immer unzufrieden mit meinen sprachlichen Bemühungen. Deutsch ist die Sprache, die ich am besten beherrsche, und trotzdem bleibt das Gefühl, dass ich keine eigene Sprache habe. Ich fühle mich noch immer als eine Fremdsprachige; nicht nur im Leben, zuweilen auch im Kunstsystem.
Mein Name ist eine erste verbindliche Sprache. Hinter diesem Namen stehe ich; stehen und standen aber auch andere. Namen identifizieren, und sie machen Identifikationsangebote. Mein Name begründet meine Identität. Ich habe damit Familie, kulturelle Identität, Last und Verantwortung, aber auch Kraft geerbt. Dieser Name ist gesetzt wie ein Zeichen. Wir sollten alle unsere Namen wie Zeichen, wie flüchtige Graffitis lesen können.




aus dem Katalog:
Renée Levi. Kill me afterwards
Verlag für moderne Kunst Nürnberg
Museum Folkwang Essen
2003