Texte zu Renée Levi



Sonneninnenlicht
"Sar|yer" von Renée Levi im Museum Folkwang Essen


von Markus Stegmann

In der knochigen Kargheit der Streben und Stützen dehnen sich malerische Horizonte aus, saugen das kalte Neonlicht auf, werfen es an anderer Stelle wieder zurück und lassen als dünne Haut, fragile Membran die feinen Unebenheiten der Wände durchdringen. Um das weiche und zugleich gleissende Gelb der Bänder legt sich milchig verwaschen ein diffuser, grau-violetter Schleier. Die leichten Auf- und Abwärtsbewegungen der Bildbänder versetzen die Raumhülle in subtiles, kaum merkliches Schwanken. Die Raummitte ruht in relativer Lichtlosigkeit, während rings an den Wänden die Intensität des fluoreszierenden Gelb zunimmt, je näher man tritt, bis zum sanften Dammbruch physisch spürbarer Reizüberflutung. Die systemfreien, einer kindlich unschuldigen Ungelenkigkeit folgenden Farblinien werfen ihre feinmaschige Energie den Betrachtenden entgegen, verletzen fast und sind doch selbst verletzlich. Ein doppeltes Verhältnis von Figur und Grund wird evident: Farblinien ruhen auf weissen Folienbändern, und diese selbst heben sich wiederum als Figur vom hellen Grau der Wände ab. Von keinem Standpunkt aus ist die Farbinstallation komplett überblickbar, weshalb sie sich wie Architektur erst im Umhergehen nach und nach erschliesst. Ein "idealer" Betrachterstandort existiert nicht, die Arbeit befindet sich in Veränderung, abhängig von der aktuellen Bewegung des Rezipienten. Der Schriftzug "LEVI 03", der zunächst als Signatur und Datierung gelesen wird, verliert aus der Nähe seine Semantik und wandelt sich in Bestandteile des räumlichen Bildes, während er aus der Ferne betrachtet den traditionellen Farbdiskurs bricht. Wie in einem Faradaykäfig fliesst hohe Energie an den Raumrändern, während im Innern in relativer Dämmerung erstaunliche Stille entsteht, Anflüge eines geheimnisvollen Sakralen einziehen, das die Banalität der Wirklichkeit auflöst und zerstäubt. Die kleinräumigen Farbstürme der Ränder im Blick, steht still in der Raummitte das Auge des Orkans. Es scheint, als schaffe erst die Reizüberflutung ein Bewusstsein für das Innere der Farbe, für die Rückseite des Lichts. Hier, im Sonneninnenlicht, befindet sich der eigentliche Ort der künstlerischen Setzung, wo elementare Erfahrungen von Licht und Dunkel, von Zeichen und Raum greifbar werden. Ruhig ist dieser Ort archaischer Magie, der sich dem Wort genauso entzieht wie abbildender Reproduktion, der den Augenblick unmittelbarer Intensität und Zwiesprache mit den Betrachtenden sucht und in vorsprachlicher Unschuld an seinen Rändern den Tag aufsteigen lässt, als wäre Farbe nicht Farbmaterie, sondern Licht.



aus dem Katalog:
Renée Levi. Kill me afterwards
Verlag für moderne Kunst Nürnberg
Museum Folkwang Essen
2003