ICH SINGE IHR EIN LIED UEBER UNS
Zu Jenny Holzers Serie Lustmord
Yvonne Volkart

I SING HER A SONG ABOUT US: Wer das singt oder sagt, ist jenes Du, das nicht ein "Lustmörder" ist wie etwa bei Otto Dix, sondern ein "Täter" (perpetrator), und damit verfolgt Jenny Holzer einen anderen, ungleich stringenteren Diskurs, obwohl sie ihre Serie mit "Lustmord" betitelt und nicht etwa mit Vergewaltigung und Mord. Sie will benennen und anklagen, und sie weiss genau, welche Sätze sie dem Täter, welche dem Opfer und welche dem/der BeobachterIn zuschreibt.
Es gibt einen "Song" über zwei, der kein Lovesong ist, und eine/einer, der/die zuhört. Oder: Der/die BeobachterIn ist auch der/die LeserIn, das heisst, das sind wir, genauer das "I", und wir sind im Text, im Bild. Wir sind nicht mehr VoyeurIn, sondern Mit-Leidende, Komplizen und Opfer, mithin Text, textus, hineinverwoben und -verflochten in jenes Geschehen, das Töten heisst und Lust verspricht. Diese Stimmen, die im Lesetext drei eigene Stränge sind, werden, wenn sie später kontextuiert werden durch die jeweiligen Arbeiten, ein Geflecht, so dass nicht mehr sofort ersichtlich ist, wer spricht.
In dem hier zur Verfügung stehenden Text wissen wir. Wissen wir? Was? Wer spricht? Wer garantiert dafür, dass das Opfer nicht das sagt, was der Täter hören will? Wo ist der Ort, von dem aus gesprochen wird? Und gibt es nicht Sätze, die alle drei sagen könnten? Erkennt man aufgrund der Beschaffenheit des Satzes, dass er etwa der Opfersprache zugehörig ist, oder vermeinen wir darin eine "Opferhaftigkeit" zu sehen, weil wir wissen, dass das Opfer ihn ausspricht? Gewisse Sätze wie: IN MIR STECKEN HAARE könnten alle drei sprechen, aber eine logische Antwort auf die aus dem Satz unwillkürlich resultierende Frage "Warum" fände man eigentlich erst dann, wenn ihn das Opfer ausspräche.

Ich werde die Zeilen aus "Lustmord" im wesentlichen so lesen, wie sie Jenny Holzer 1993, vor jeglicher "künstlerischen" Kontextuierung, niederschrieb: Als aufeinanderfolgende Zeilensätze, in die drei genannten Blöcke geordnet, als "autonomer" Text, auch wenn "Lustmord" keine Literatur und Jenny Holzer keine Literatin ist. Mein Lesen geschieht im Wissen darum, dass mit der Reduktion auf die reine Textualität kontextabhängige Bedeutungsverschiebungen unberücksichtigt bleiben, respektive nur angedeutet werden können.


Sprache des Täters
"I SWIM IN HER AS SHE QUIETS. I SINK ON HER. I SING HER A SONG ABOUT US. I STEP ON HER HANDS. I SPLAY HER FINGERS."
"The song about us" kann metonymisch für die ganze Lustmord-Serie, speziell aber für die Sprache des Täters gelten. Denn dieser "Song" ist der zynische Euphemismus für die machtvolle Unterwerfung der anderen mittels der Sprache, ebenso wie das Wort "Lustmord" den Machtgestus der Vergewaltigung beschönigend, weil naturalisierend, unter die Vorzeichen von Trieb und Lust stellt, und darüberhinaus nochmals jene geile Befriedigung ermöglicht, die man am Wort "Lustmord", das immer das Versprechen nach Lust sagt - haben kann. Das Wort "Lustmord" wird immer der Täter und seine Komplizen sagen und niemand anderer. Als Titel gesetzt, markiert es die Universalie der Sprache des Täters. Es fungiert als ironisches Leitmotiv einer patriarchal-ödipalen Nabelschau, in deren Verlauf komplexe Realitäten auf die Ideologeme von Täter und Opfer, Mann und Frau, Kastrierer und Kastrierte reduziert werden, um unter Ausblendung gesellschaftlicher Bedingungen eine Grundkonstante von Macht und Gewalt zur Sprache zu bringen.
Die ersten fünf Zeilen dieses Textes, die der Täter spricht, stimmen auf diesen "Song about us" ein. Die regelmässigen Wiederholungen von "I" und "S", die gleichlautenden Anklänge und die gleiche grammatikalische Struktur entsprechen einer Liedstruktur, die mit dem Wechsel des Subjekts abbricht: "SHE ROOTS WITH HER BLUNT FACE. SHE HUNTS ME WITH HER MOUTH. SHE HAS THREE COLORS IN HER EYES." Wieder ein Bruch, wieder spricht das Ich: "I BITE HER CLOSED AGAIN. I AM NEAR HER MILK. I TELL HER TO SOAP HERSELF." So geht die Sprache des Täters weiter, 27 Sätze, die manchmal durch Wiederholungen des Subjekts oder der gleichen Anlaute kleine rhythmische Sprach-Gruppen bilden. Inhaltlich erfolgt der Bruch schon in der vierten Zeile mit der ersten Ankündigung eines Gewaltakts: I STEP ON HER HANDS. Damit verlieren sowohl die verhergehenden als die nachfolgenden Sätze, die zum Teil gewöhnliche sexuelle Handlungen schildern, ihre Harmlosigkeit; sämtliche sexuelle Praktiken werden potentiell brutal, das pornographische Szenario sadistisch, der alltägliche Sexismus tödlich.
Der Song kommt nicht so recht zum Tragen, in Schwung aber um so mehr. Die Sprache ist kunstlos, ohne Rhetorik, die Sätze sind kurz, abgehackt. Subjekt - Prädikat - Objekt - Attribute - an den konventionellen grammatikalischen Normen wird festgehalten. Entweder wird die Täter-Tätigkeit konstatiert: I WASH HER OUT. I HOOK HER SPINE etc., oder die Frau beschrieben: SHE HAS A URIN SMELL. HER SWALLOW REFLEX IS GONE. HER BREASTS ARE ALL NIPPLE etc. Seine Beschreibungen der Frau degradieren sie zum Tier und richten sie zum prädestinierten Opfer zu: SHE ACTS LIKE AN ANIMAL LEFT FOR COOKING. Sein Begehren richtet sich auf's Strafen aus: I WANT TO FUCK HER WHERE SHE HAS TOO MUCH HAIR. Das "too" nimmt vorweg, was nicht geschrieben steht: Ich will sie zu Tode ficken, weil mich ihr Loch bedroht, und dafür muss sie büssen...

Alles, was er tun, sagen (dass sie zuviele Haare hat) und sehen kann (I WATCH HER WHILE SHE THINKS ABOUT ME), dient seiner Selbstversicherung. Er imaginiert sie als diejenige, die über ihn nachdenkt und seine Identität konstituiert. Stets spricht er von ihr in der dritten Person. Die Pronomina "she" und "her" sind allgegenwärtig. Er ver-äussert sie, macht sie zur "Frau", zu jener stummen Anderen, jener Leerstelle, die sein "Ich" garantiert. Sie vermittelt ihm jenes "ozeanische Gefühl" (Freud), das er begehrt, das ihn aber auch ängstigt. I SWIM IN HER AS SHE QUIETES. Er orgasmiert, ohne die Kontrolle über sie zu verlieren. Unter seinen mörderischen Händen wird sie ruhig, zur (tödlichen) Ruhe gebracht. Im Anfangssatz leuchtet auf, was im Schlussatz - dem scheinbar objektivsten dieser Reihe - als Resultat feststeht: THE COLOR OF HER WHERE SHE IS INSIDE OUT IS ENOUGH TO MAKE ME KILL HER. Weil sie ein Loch hat, muss sie sterben.

Sprache des Opfers
I AM AWAKE WERE WOMEN DIE. Wer das sagt, ist das Opfer. Und damit schlägt die Euphorie, das Pathos, das dieser Satz hätte, wenn ihn der/die BeobachterIn sagen würde, in sein zynisches Gegenteil um: Er kündet von der unauflösbaren Aporie, da wach zu bleiben, lebendes Mahnmal zu sein, wo man doch zur Ruhe, zur Schlachtbank gebracht wird.
Mit dem nächsten Satz betritt der Täter die Bühne: THE BIRD TURNS ITS HEAD AND LOOKS WITH ONE EYE WHEN YOU ENTER. Im Gegensatz zum Täter spricht das Opfer sein Gegenüber mit "Du" an, und der phantasmatische Monolog über die Abstraktion Frau wendet sich zum personalisierten Dialog. Das Opfer zählt die Verletzungen auf, stellt mehr oder weniger ungerührt die Beschädigungen fest: MY NOSE BROKE IN THE GRASS. MY EYES ARE SORE FROM MOVING AGAINST YOUR PALM./I HAVE THE BLOOD JELLY. Sie beschreibt scheinbar objektiv ihre Befindlichkeit, nur manchmal brechen Gefühle durch: YOUR AWFULL LANGUAGE IS IN THE AIR BY MY HEAD. Obwohl sie ihn erkennt und dekonstruiert, ist sie ihm hilf- und hoffnungslos ausgeliefert: YOU CONFUSE ME WITH SOMETHING THAT IS IN YOU. I WILL NOT PREDICT HOW YOU WANT TO USE ME. Diese paradoxe und eigentlich unerträgliche Double-Bind-Situation halten die beiden aufeinanderfolgenden, vordergründig unlogisch zusammengesetzten Sätze fest.
YOU HAVE SKIN IN YOUR MOUTH. YOU LICK ME STUPIDLY. Der erste Satz ist in seiner Wahrnehmungsperspektive ungewöhnlich und eigenartig und entspricht der Entstellung, die das Opfer durchmacht. Der zweite entstammt dem pornographischen Vokabular und provoziert Lust. Damit enthüllt diese Zeile das möglich gewordene Unmögliche eines "Lustmords": Opfer und Täter könnten dasselbe sagen und empfinden. "Lust" wird hier effektiv mörderisch, weil sie das Opfer geniessen lässt, damit aber auch dessen Grundvertrauen zu sich selbst auslöscht. Das Opfer wird sich diese empfundene Lust nie verzeihen können.
Auch das Opfer kommt am Schluss zu einem Resultat: WHAT IS LEFT ON THE BLANKET IS CLEAR AND THE COLOR OF HELL. Sperma oder Blut oder die Frau als weisser Fleck.
Vielleicht sind es auch die Sätze, die sie spricht. Denn spätestens hier wird die künstliche Linearität, Geschlossenheit und Inhaltlichkeit dieser "klaren", aber "teuflischen" Sätze evident. So spricht kein traumatisiertes Opfer: So inhaltlich stringent und wortgewandt, so ruhig und besonnen. Kein Schreien, Heulen, Stammeln und Verstummen, keine aneinandergereihten "Sinnlosigkeiten" und endlosen Repetitionen. Die Sprache des Opfers ist wie die des Täters reine Repräsentation imaginierter Inhalte. Und doch entsprechen diese einfachen parataktischen Sätze, die niemals in komplizierte und endlos lange Haupt- und Nebensätze ausufern, sondern wie Rhythmen oder Schläge sind, vielleicht genau diesem atemlosen, deregulierten Sprechen, das, aus dem Unbewussten ausgestossen, spricht und spricht, die Dinge benennend, den Schmerz aufzählend und die Lust sagend, dennoch eine ungeheure Leerstelle von Nicht-Gesagtem hinterlässt?

Sprache des/der BeobachterIn
Die Struktur der Sprache des/der BeobachterIn entspricht den beiden vorangegangenen "Sprachen" - die Sätze sind kurze und einfache Aussagen und beginnen oft mit "Ich". Die Zeilenparts sind zwar etwas länger und es gibt vermehrt Hypotaxen. Die Satzreihungen prononcieren das litaneihafte, statische und kunstlose Sprechen, das endlos so weiter gehen könnte. Es ist nicht so atemlos wie das Sprechen des Täters, tonloser auch, etwas weniger abrupt. Beschreibungen von "ihr", von Befindlichkeiten und Situationen wechseln sich ab.
Es ist die Sprache der Trauer, des Versagens, der niemals mehr einzuholenden radikalen Entfremdung, die durch die kleinen Beschreibungen dessen, was nicht mehr stimmt, was verändert wurde, beschworen wird: SHE ASKS ME TO SLEEP IN THE HOUSE BUT I WILL NOT WITH HER NEW BODY AND ITS NOISES AND WETNESS. Die Frau wird nicht, wie bei der Tätersprache, als eine Fremde, sondern als Fremdgewordene phantasmagoriert. Der Schlussatz endet mit jenem abrupten Horizontal-Vertikal-Gefälle, das Lebende und Tote einander radikal entreisst: SHE IS NARROW AND FLAT IN THE BLUE SACK AND I STAND WHEN THEY LIFT HER.

Die poetische Rhetorik und die tendenziell formalen Unterschiede zwischen den SprecherInnen bleiben letztlich minimal, und letztere werden durch die künstlerischen Umsetzungen, in denen die Zeilenfolgen auseinandergerissen und neu konstelliert werden, nachträglich sowieso aufgelöst. Wenn sich die drei Stimmen voneinander unterscheiden, dann vor allem aufgrund der verschiedenen Inhalte, die sie sagen. Allerdings gibt es auch da, wie wir gesehen haben, Uneindeutig- und Unentscheidbarkeiten, die dadurch verstärkt werden, dass die SprecherInnen absolut dekontextualisiert und gewissermassen modellhaft a-topisch sind. Wenn aber die Grenzen zwischen den SprecherInnen zu oszillieren beginnen, dann kann es nicht mehr nur darum gehen, wer was sagt und warum. Dann werden diese Inhalte, die so "klar" und "von teuflischer Farbe" sind, plötzlich frag-würdig und deren Sinn muss sich erst bestätigen.

Eine eindeutige Ortung der SprecherInnen wird im Prinzip durch die Ich-Konstruktionen der gesprochenen Sätze verunmöglicht: Alle drei sagen von sich "Ich" und meinen sich als der/diejenige, der/die nicht der/die andere ist. Enthüllt wird damit die Leere der Sprache, die Austauschbarkeit des Wortes "Ich" und damit verbunden die letztlich immer nur sprachgebundene Identität. Opfer, Täter und BeobachterIn erweisen sich als sprachliche und ideologische Konstrukte und Effekte, deren Positionen verrückbar, mithin nicht anthropologisch festgeschrieben sind.

"Ich" ist letztlich die Voraussetzung für meine Identifikation mit dem/der jeweiligen SprecherIn bei der Lektüre. Das heisst, "Ich" ist in diesem Fall weniger Garant für einen möglichen Betroffenheits- und Authentizitätsdiskurs, obwohl der mitintendiert sein mag, als vielmehr jener neutrale Passierschein, der den Eintritt ins Spiel der Vielstimmigkeit gestattet. Die textuelle Identifikation mit den einen und anderen Positionen führt nicht zum möglichst unmittelbaren Einssein mit der jeweils sprechenden Person, damit ich ihre seelischen Höhen und Tiefen direkter mitfühlen kann - so wie man es in einem illusionistischen Stück vorgetäuscht bekommt -, sondern hier findet im Gegenteil die totale Ent-Täuschung statt: Die maschinenhaften Repetionenen des Ich täuschen mich nicht darüber hinweg, dass hier alles sprachlich konstruiert ist, dass ich mit meinen Erfahrungen absolut draussen bin und draussen bleiben werde, auch wenn "Ich" im Text bin/ist. Ich spricht, aber ich spreche nicht, und das Ich ist immer an einem ganz anderen Ort, jenseits dieser repräsentativen Inhaltssprache, in der Intention und Gesagtes zusammenzukommen scheinen, aber frag-würdig sind, weil der Ort, von wo Ich spricht, ständig neu besetzt werden muss. Es wird nie Ent-Sprechungen geben können, weil die Sprache und ihr Sinn immer auseinandergehen. Und das Gesagte wird immer inkommensurabel bleiben, auch wenn wir es verstehen, zu gut verstehen, weil da ein Ich - getragen vom Wunsch nach Engagement, Betroffenheit und Verständlichkeit - Klarheit und Inhaltlichkeit ver-spricht.