Der Raum von Schnittstelle Netzhaut wurde relativ einfach und praxisbezogen eingerichtet. Auf insgesamt drei Tischen standen bzw. lagen der Computer, Archivboxen mit laufenden Ausdrucken eingegangener mails sowie eine nicht repraesentative Auswahl an Zeitschriften und Katalogen zum Thema Koerper. Der Ausdruck von e-mails wurde allerdings bald einmal eingestellt, da sich die Leute eifrig bedienten, Druckerpatronen teuer sind und das staendige Ausdrucken aller mails immer zeitraubender geworden waere. Kurz, wurde der Raum besucht, war niemand da und kannte man sich mit BBS nicht unbedingt aus, so konnte anhand des spaerlichen Materials im Raum nur angenommen werden, dass die Schnittstelle Netzhaut eher im Verborgenen funktioniert. Da ausserdem zweimal ein Besucher sich doch am Computer zu schaffen gemacht und dabei einiges Unheil in den Directories angerichtet hatte und aufgrund mangelnder Sicherheit bei Abwesenheit der Thing-Leute mit dem Klau des Modems gerechnet werden musste, wurde eben die Dia-Show eingerichtet, damit Neugierigen mit Augenfutter und Textmaterial zumindest ein minimaler Einblick in den Projektverlauf gewaehrleistet werden konnte.
Das offene Forum sollte sich als eine Art offenes Studio anbieten. KuenstlerInnen, im weitesten Sinne mit Computerbildern Arbeitende sowie konzeptuell aktive Personen, die sich in unterschiedliche Bereiche des oeffentlichen Lebens einmischen, wurden eingeladen, Beitraege einzuspeisen. Eine der deklarierten Absichten war es, die Dimensionen von Kunst und Oeffentlichkeit weiterzudenken sowie Methodender uebers Netz moeglichen gemeinsamen Werkerstellung auszuloten un diese ueber geographisch mehr oder weniger weit auseinanderliegende Ecken und Enden hinaus gerinnen zu lassen. Ausgangspunkt konnte z.B. die Auseinandersetzung mit dem Koerper als Schlachtfeld ein, einem Koerper, der selbst immer wieder aufs Schlachtfeld geschickt wird.
Das Dokumentationsforum schliesslich wurde eingerichtet, um die laufenden Veranstaltungen von Sprechende Koerper zu dokumentieren. Zusaetzliche Materialien zu den Beteiligten konnten ebenso da abgelegt werden wie umfangreichere Literaturlisten zum Thema Koerper.
Vor Beginn des Projekts Schnittstelle Netzhaut erschien die Laufzeit von mehreren Monaten für die Entwicklung einer ueppigen Bild- und Gespraechskultur als ausreichend. Zugleich gingen wir bereits in der Konzeptentwicklung von einem Work-in-progress aus. Was wurde daraus?
Bisweilen konnte ich mich dem Verdacht doch nicht ganz verwehren, dass sich zwar eine ganze Anzahl von potentiellen ReferentInnen sofort fuer eine Teilnahme im Forum interessierte, allerdings eher im Sinne eines name-placements. Als dann aber bei vielen die Beobachtung heranreifte, dass der persoenliche Name nicht auf dieselbe Weise herausragen wuerde wie z.B. in einer Fachzeitschrift, das Copyright auf die Beitraege nicht unbedingt gesichert war und auch keine Autorenhonorare oder sonstige Ehren zu erwarten sind, wurden Rueckzugsgefechte wahrnehmbar (Primo).
Das AutorIn/LeserIn-Verhaeltnis im Netz wirkt auf monologisierend vorgehende AutorInnen eher wie eine unsichtbare Gefahr mit unbekannten Vektoren. Zunaechst weil ganze Textteile von LeserInnen im Copy-paste-Verfahren gleich in fremden Besitz eingearbeitet werden koennen. Damit sind scheinbare Denk- und Informationsvorspruenge unter eigenem Namen natuerlich im Eimer. Weiter broeckelt auch die Autoritaet der AutorInnen. LeserInnen koennen sich locker querlegen zu den in umlaufgesetzten Denk- und Theorieleistungen und deren Privileg in Frage stellen. Die klassische Rollenteilung AutorIn/LeserIn geraet in Bedraengnis. Dies kuemmert - so scheint es - vor allem das Lager des klassischen AutorInnentums. Dieses verdeckt mit dem Postulat, dass es auch im Netz einen praezisen Rahmen fuer Erkenntnisleistungen beduerfe, die reale Angst vor eigenen Fehlern im permanenten Konferenzgespraech. Und da auch der Symposiums-Graben nicht mehr besteht, muessen die sprechenden DenkerInnen zu Recht vermuten, dass sich das mitdenkende Publikum nicht mehr auf Zurueckhaltung versteifen wird und sich realtiv respektlos mit unreinen Beitraegen einzumischen droht. Misstrauen gegenueber dem sockellosen Computernetzwerk, Misstrauen gegenueber einem unbekannten Publikum, Angst vor eigenen Fehlern in einem unbekannten Umfeld und die Unsicherheit im Bereich Aufwand/Nutzen als Verhinderer des Gespraechs?(2).
Allmaehlich hat sich mir die Frage gestellt, wie wichtig es denn ueberhaupt noch sein kann, auf dem Netz umfangreiche, homogene, in sich schluessige Textbaender vorzufinden, die wiederum eine enorme Leseleistung abverlangen, sollen die Textdaten nicht zu Datenleichen verkommen. Dass fuer viele Recherchen die Zugriffsmoeglichkeit auf Datenbanken aller Art wahrgenommen wird, ist bekannt. Das Diskussionsforum wurde jedoch nicht eigentlich zu logistischen Zwecken fuer Erkenntnisnachschub eingerichtet. Wurde zwar in den 80er Jahren in DenkerInnenkreisen ausfuehrlich ueber die Schrift und die Krise der Linearitaet parliert, so scheint sich trotz allem der Anspruch auf die Linearitaet mit einem Anfang und einem Ende, von oben nach unten, von links nach rechts, gut halten zu koennen. Die funktionale Trennung - Denken und Formulieren im stillen Kaemmerlein, lockeres Gespraech eher in der Kneipe und mit FreundInnen - konserviert somit die Ideologie des 19.Jahrhunderts: Jedes Ding an seinen Platz, jede Verrichtung zu ihrer Zeit.
Der Netzgedanke scheint vom klassischen AutorInnenlager weiterhin vor allem beschreibend und medientheoretisch angegangen zu werden, die Scheu vor Netzerfahrung ist noch nicht ueberwunden, der Schein ungebrochener individueller Handlungsfaehigkeit wird weiter gestuetzt. Leicht verbissen wird zugewartet. Noch schreibt und publiziert man argwoehnisch und unter sich ueber die zahlreich bestehenden Netzgemeinden, tastet sie mit einer gewissen monotheistischen Moral nach pubertaeren Glucksern ab und fragt sich dabei etwas ratlos, ob denn nun e-Netze bereits eine lohnende Oeffentlichkeit darstellten. Diese Ratlosigkeit wird anhalten, solange die individuelle Raum-Zeit-Nuss nicht geknackt wird. Denn die Netze werden in gewisser Hinsicht eher ortlos bleiben und die netzresistenten AutorInnen werden sich weiterhin mit der Frage quaelen duerfen, wie lange sie sich der fuer sie als Spagat empfundenen Spannung zwischen konventioneller Raum-Zeitlichkeit und statischer Ortlosigkeit noch entziehen koennen. Inzwischen verbleibt immerhin noch etwas Zeit, um das eigene Hirn zu verlinken und mit sich selbst ins Reine zu kommen. Die Zeit koennte allerdings knapp werden, wenn offline-DenkerInnen herausfinden, dass die bestehenden Netzgemeinden sich schon laengst abgekoppelt haben und keinerlei Interesse mehr dafuer entwickeln koennen, wie offline-Monologe sich zu den Netzen aeussern. Eine schwer zu ertragende Abseitsstellung, wie ich zu vermuten wage.
Einige wenige, dem Diskussionsforum zugesandten Texte fuer dieses Web-Gefaess sind ins Offene Forum verlagert worden und befinden sich in den Rubriken "Koerper in Stuecken" und "Schritte". Unter dem Diskussionsforum sind keine Beitraege zu finden. Die Namensliste derjenigen AutorInnen, die urspruenglich einer Teilnahme am Diskussionsforum zugesagt hatten, befindet sich im Projektteil.