Dehli, 22. September
Es war keine wunderbare Brotvermehrung, aber eine ebenso wundersame Milchverminderung: Der 21. September 1995 wird in Indiens religiöse Folklore eingehen als der Tag, an dem Lord Ganesh, der freundliche elefantenköpfige Gott, überall im Land Milch trank, In unzähligen Tempeln sollen Ganesh-Statuen, wie bereits gemeldet, vom Morgengrauen an rohe Milch, dargeboten von Millionen von Löffeln, eingesogen haben. Gegen Ende des Tages sollen offenbar auch andere Gottheiten auf den Geschmack gekommen sein und das weisse Getränk geschlürft haben.
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Bereits frühmorgens berichteten die Milch- und Zeitungsverträger von einem Wunder im nahen Ganesh-Tempel. Gegen Mittag begannen die Telefonlinien heisszulaufen. Überall, so erzählten sich Bekannte, spiele sich dasselbe seltsame Ereignis ab. Wenn man der Ganesh-Statue einen Löffel voll Milch unter die Nase halte, löse sich diese innert Sekunden auf. Vor den Tempeln bildeten sich allmählich Schlangen von Menschen, mit Milchbehältern und Löffeln ausgerüstet. Bereits am frühen Nachmittag leerten sich Ämter und Geschäftshäuser in der Hauptstadt, und Schulkinder strebten zum nächsten Quartiertempel statt nach Hause. Die Milchpreise stiegen rasch. Statt 10 kostete ein Liter bald 25, dann 100 Rupien, und bald waren die Vorräte ganz weg. |