Brian O'Doeherty
* 1928, lebt in New York

Brian O’Doherty schrieb 1976 in der amerikanischen Kunstzeitschrift Artforum, ein weiss gestrichener und leerer Raum sei für die zeitgenössische Kunst kennzeichnender als irgendein einzelnes modernes Werk. Die angebliche Neutralität des weissen Galerie- und Museumsraums wird dabei einer kritischen und anregenden Lektüre unterzogen. In seiner inzwischen legendären, 1986 erstmals in Buchform erschienenen Artikelsammlung Inside the White Cube: The Ideology of the Gallery Space (deutsch: In der weissen Zelle, Berlin 1996) zeigt O’Doherty, dass Werk- und Ausstellungsgeschichte der modernen Kunst weitgehend identisch sind. Die Aufmerksamkeit, die seit dem frühen 20. Jahrhundert dem Ausstellungsraum selbst zukommt, findet Resonanz in den künstlerischen Arbeiten. Schon in der Werkkonzeption und nicht erst bei der Realisierung berücksichtigen Künstler seither die spätere Werkpräsentation. Sowohl die Installationskunst als auch die künstlerische Befragung des weiteren Kontexts ausserhalb von Galerie und Museum sind Konsequenzen dieser Entwicklung. O’Doherty, 1928 in Dublin geboren und seit 1957 in den Vereinigten Staaten lebend, gehört zur ersten Generation der Conceptual Art. Er ist Künstler, Kunstkritiker, Filmemacher und Schriftsteller und beobachtete, begleitete und beschrieb die Veränderungen in der zeitgenössischen Kunst im Nachkriegsamerika aus nächster Nähe. Aus Protest gegen die britische Nordirlandpolitik signierte er seine bildnerischen Werke von 1972 bis 2008 mit dem Künstlernamen Patrick Ireland. In seinem jüngsten Essay Studio and Cube (2007, deutsch: Atelier und Galerie, Berlin 2012) werden die früheren Überlegungen zum Verhältnis von Werk und Ausstellungsraum durch Beobachtungen ergänzt, die den Arbeitsplatz des Künstlers betreffen. O’Doherty legt darin dar, wie das Atelier im 19. Jahrhundert zu einem wichtigen Motiv der künstlerischen Selbstreflexion geworden ist und seit Marcel Duchamp selbst bisweilen als Kunstwerk angesehen wird. Brian O’Doherty gehört zu einer Generation von Künstlern, die nicht nur über die Bedeutung sowohl des Ausstellungsraums als auch des Ateliers für die eigene künstlerische Arbeit nachgedacht haben, sondern auch nach Möglichkeiten suchten, Kunstwerke ausserhalb des Museums oder der Galerie zu realisieren. Indem sie sich in den öffentlichen Raum begaben, wollten sie die verlorene gesellschaftliche Relevanz der zeitgenössischen Kunst für sich und ihre Arbeit zurück erlangen.

Als Künstler bekannt gemacht haben Brian O’Doherty vor allem die Rope Drawings. Ein Werk aus dieser Gruppe war in Amden zu sehen. Es handelt sich um Installationen aus in den Raum gespannten Seilen, die dem Künstler ermöglichen, im Raum zu zeichnen. Oft sind die Installationen mit ungegenständlichen Wandmalereien kombiniert. Diese Werke behandeln Malerei, Zeichnung, Raum und Installation gleichwertig und tragen dem Umstand Rechnung, dass die gesellschaftlichen und künstlerischen Veränderungen der Nachkriegszeit dazu geführt haben, dass der Betrachter in die Werkkonstitution mit einbezogen werden will. Als Betrachter wird man Bestandteil der Installation. Zeichnung und Wandbild verbinden sich je nach Standort zu einer Einheit. Raum wird komplex oder einfach. Das Werk zerfällt visuell in seine Bestandteile und setzt sich neu zusammen, je nachdem, wo ich mich als Betrachter gerade befinde. Taking a Line for a Walk (2012) führte den Blick des Betrachters von aussen durch eine der drei Türen ins Innere des Gebäudes und durch ein Fenster im Obergeschoss wieder ins Freie. Zu sehen war ein gelbes Seil, das Boden, Wände und Decke jedes einzelnen Raums im Gebäude erkundete und beschrieb. An jeweils einer Stelle auf allen sechs Flächen, die in der Regel einen Raum bilden, war das Seil mit einem Metallstift befestigt. Zu entscheiden, wie es sich von Raum zu Raum spannte und welchen Weg es innerhalb eines Raumes gehen sollte, war dem Kurator überlassen. Der Künstler war nie vor Ort. Eine Zeichnung, auf der O’Doherty die Werkidee skizzierte und im Gespräch zugleich erläuterte, bildete die Grundlage für den Aufbau der Installation. Im Unterschied zu Duchamps Rauminstallation Mile of String“ (1942) anlässlich der Ausstellung „First Papers of Surrealism“ in New York, die den Besucher am Betreten des Ausstellungsraums hinderte, führt Taking a Line for a Walk den Besucher durch das Gebäude, aktiviert die Wahrnehmung und konfrontiert ihn mit der Gegenwart. „Wo bin ich?“ lautet die Frage, welche man sich in einer Rauminstallation stellt. O’Doherty stellte eine direkte Verbindung von innen und aussen her, indem er das Seil durch eine der Türen ins Innere des Gebäudes und durch das Haus hindurch wieder nach draussen führt. Was bringen wir mit in die Ausstellung und was gibt sie uns mit auf den Weg?


Text: Roman Kurzmeyer, 2012