Katalin Deér
* 1965, lebt in St. Gallen

Katalin Deér zeigte in Amden eine Stuckmarmorplatte. Sie lag eingebettet zwischen groben, losen Bodenbrettern und Heuresten auf dem unebenen Boden des Heuspeichers. Im Erdgeschoss war direkt auf dem Stallboden eine grossformatige Fotografie ausgelegt. Die Stuckmarmorplatte entstand im Ausstellungsraum in einem aufwändigen handwerklichen Verfahren aus wiederholt gespachteltem, geschliffenem und abschliessend geöltem und gewachstem Stuckmarmor. Über viele Wochen wurde die Platte immer wieder manuell geschliffen, ihre glatte und glänzende Oberfläche lud dazu ein, berührt zu werden. Die Fotografie wurde 1997 in New York aufgenommen und für diese Ausstellung erstmals grossformatig vergrössert. Deér fotografierte von der Strasse aus ein Schaufenster, in dem ein Paar schlichte, moderne Stühle aus dunklem Holz dicht beieinander stehend ausgestellt waren. Die Spiegelungen des Glases, durch das hindurch sie die beiden Objekte fotografierte, erzählen vom Strassenleben, das sich gleichzeitig im Rücken der Fotografin abspielte, und bringen die unerreichbaren Antiquitäten bildlich zurück in den Alltag. Die Arbeiten in Amden handeln beide von Begehren und von tiefen, mehrschichtigen und unergründlichen Oberflächen.

Die 1965 in Palo Alto, Ca, USA, geborene Künstlerin gelangte über die Bildhauerei zur Fotografie. Katalin Deér studierte an der Hochschule der Künste in Berlin und war 1996 Meisterschülerin in der Klasse von Lothar Baumgarten. Nach dem Studium hielt sie sich zunächst in New York auf, seit 2003 lebt und arbeitet die Künstlerin in der Schweiz. «In ihrer Eigenschaft als Bildhauerin», schreibt Max Wechsler, «prüft sie das plastische Potenzial der Fotografie und untersucht in ihren Rauminstallationen die Wechselwirkung der Zwei- und Dreidimensionalität von Bildoberflächen und Objektansichten. Dabei fokussiert sie nicht zuletzt auf die Sensationen der Wahrnehmung von Fotos als Körper und von Körpern als flachen Perspektiven.» Katalin Deér zählt denn auch, wie vor einigen Jahren auch Adrian Schiess, den in nicht abschätzbarer Distanz, in der Tiefe liegenden, dunkel leuchtenden Walensee zu ihren nachhaltigen visuellen Erfahrungen vor Ort. Mit dem See, den die Besucher der Ausstellung als grosse grüne Fläche vor sich ausgebreitet sehen, kommt neben dem Stuckmarmor und der Fotografie eine dritte Oberfläche auf einer weiteren Ebene ins Spiel.

Stuckmarmor hatte seine Blütezeit im späten Barock und wurde zunächst vor allem im sakralen Bereich eingesetzt, war danach aber auch in der Gründerzeit und im Jugendstil ein für den dekorativen Innenausbau von Repräsentationsbauten wichtiger Baustoff. In der Moderne wird Stuckmarmor kaum mehr verwendet. Die in Amden zusammen mit Bruno Lombardi, Stuckateur, und einer Gruppe von Kolleginnen und Kollegen hergestellte Platte ist, wie die Künstlerin treffend bemerkt, «fremd an diesem Ort». Stuckmarmor, so Deér, gehört inhaltlich nicht in eine Scheune und formal nicht in unsere Zeit. Was sie über den Stuckmarmor sagt, das gilt genauso für das auf dem Stallboden ausgerollte Strassenbild aus New York. Aus dieser Differenz, die sich visuell mitteilt, schöpft die Ausstellung ästhetische Bedeutung.

Text: Roman Kurzmeyer, 2010