Eran Schaerf
* 1962, lebt in Berlin

Eran Schaerf sprach kürzlich in Cambridge, Massachusetts, vor Studierenden der Architekturfakultät über sein künstlerisches Schaffen. Sein Vortrag setzt mit der Bemerkung ein, er sei in Tel Aviv-Jaffa geboren worden, in seinem deutschen Pass allerdings finde man lediglich den Eintrag Tel Aviv. Der deutsche Beamte habe ihm auf Anfrage erklärt, dass die Ortsregister vereinfacht worden seien und sein Geburtsort nun Tel Aviv sei. Jaffa, die ältere, arabisch sprechende Stadt in Palästina wurde aus seinem Pass gestrichen. Schaerf hätte diese Veränderung des Namens als einen rein amtlichen Vorgang betrachten können, von dem die Ordnung der Dinge unberührt bleibt, doch so ist es seiner Ansicht nach nicht: Schaerf stammt aus einer Region, in der, wie er sagt, mindestesten zwei Geschichten, Sprachen und Kulturen aufeinandertreffen und den Raum für sich beanspruchen. Dieser Plural prägte ihn und interessiert ihn als Künstler und Bürger bis heute. Er fand diesen Plural inzwischen an vielen Orten.

Eran Schaerf studierte Architektur, zunächst in Israel und danach 1985-87 an der Hochschule der Künste in Berlin, wo er seither lebt und arbeitet. Sein künstlerisches Schaffen untersucht Bedeutungen und unterschiedliche Erscheinungsformen von Wort und Bild in Kunst und Alltag. Die Aneignung und Montage sprachlicher und bildlicher Ausdrucksformen, die ihm als Leser und Betrachter begegnen, ergeben gewöhnliche und überraschende Nachbarschaften, Verbindungen und auch Unvereinbarkeiten, welche die Lektüren seiner Arbeiten zu einem offenen Prozess machen. Ihn beschäftigt das Verhältnis von Wort und Bild unter den Bedingungen ihrer technischen Reproduzierbarkeit: Druckverfahren, Fotografie, Film und Rundfunk sind seine bevorzugten Medien. Gerne arbeitet er mit Drucksachen, die er in unlimitierten Auflagen herstellen lässt, und gewöhnlich für verschiedene Projekte in unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet. Die wiederholte Verwendung ermöglicht ihm, das Potential von Bildern und Erzählungen zu entfalten. Auf einem Plakat aus der frühen Arbeit «Madame Chose a l’air tout chose» (1992) findet sich ein Satz von Ludwig Wittgenstein, den man gleichsam als Motto über sein gesamtes Werk stellen könnte: «Jemand sagte mir, er habe sich als Kind darüber gewundert, dass der Schneider ‚ein Kleid nähen könne’ – er dachte, dies hiesse, es werde durch blosses Nähen ein Kleid erzeugt, indem man Faden an Faden näht.»

In Amden richtete Eran Schaerf eine Installation aus Zeitungsartikeln und dem Tagebuch von Rotkäppchen ein. Die Berichte handeln in Wort und Bild von verschiedenen Personen und Figuren, von realen und fiktiven Ereignissen, von Grenzen und Grenzerfahrungen, von Ein- und Auswanderern und von einer nie stattgefundenen Begegnung in Amden. «Ich habe Rotkäppchen verschleppt», heisst es in einem für Wanderberichte der Region Walensee genutzten Blog. Weil Rotkäppchen und die Schlepperin auch in Amden keine Aufnahme fanden und ihre Flucht fortsetzen mussten, wurde ein Treffen mit Heidi verhindert. Die Schlepperin und Rotkäppchen bedanken sich bei jenem Bauern, der ihnen in seiner Hütte kurz Unterschlupf gewährte. Das Bekennerschreiben löste eine Flut von Kommentaren aus und führte zu Untersuchungen über die Herkunft und die Identität von Rotkäppchen und die Frage, wer sich wie in diesem Fall unbewilligter Einwanderung schuldig gemacht hat. Die Recherche förderte überraschende Fotografien von bekannten Politikern zu Tage, die Eran Schaerf in simulierten Zeitungsausrissen mit Rotkäppchen in Verbindung bringt. Die Arbeit mit Bild- und Wortmodulen, deren Variation und Abwandlung hat in seinem Werk einen hohen Stellenwert. Stets handeln seine Installationen, Filme oder Hörspiele von den feinen Nahtstellen zwischen «Wirklichkeit» und «Fiktion».

Die Installation war anschliessend in einer veränderten und ergänzten Fassung im Kunstmuseum Liechtenstein in Vaduz zu sehen.

Text: Roman Kurzmeyer, 2010