Anselm Stalder
* 1983, lebt in Zürich

Am 25. Dezember 2011 gegen Mittag konnte man drei Männer im Lehni in Amden dabei beobachten, wie sie Kisten schulterten und wenig später aufbrachen, um schwer beladen abseits der Strasse durch den tiefen Schnee Richtung See zu stapfen. In den gepolsterten Kartons lagen mundgeblasene, farbige Glaskugeln; in den Rucksäcken wurde Gebäck und Champagner zur Hütte im unteren Faren getragen, wo Kaspar Müller die Kugeln während eines Nachmittags ausstellen sollte.

Es war ein strahlend schöner Wintertag. Kaspar Müller zog die 25 Kugeln vor Ort auf ein Seil auf und hängte die Kette danach an Nägeln an die gezimmerte Fassade des alten Holzhauses. Wie schon frühere Projekte thematisierte die Ausstellung die Dimension des Kunstwerks im Verhältnis zur Landschaft. Das freistehende Haus bildete den Ort der Ausstellung und erfuhr zugleich durch die Intervention des Künstlers, welche Hütte und Kunstwerk massstabsgetreu aufeinander bezogen erscheinen liess, eine Transformation auf Zeit. Am späteren Nachmittag, als die meisten der ungefähr vierzig Besucherinnen und Besucher sich schon wieder auf dem Heimweg befanden, wurden die Kugeln von der Wand genommen und in die Kartons zurückgelegt.

An jenem 25. Dezember, als wir vor der geschmückten Hütte im Schnee standen, dachten wir an Weihnachten, doch Kaspars Kette spielte in einem grundsätzlicheren Sinne mit der Idee des Dekors. Die wie Perlen aufgezogenen Kugeln wurden von einem Glasbläser einzeln hergestellt, das Seil sah aus wie aus Naturfasern geflochten, war aber industriell aus Kunststoff produziert worden. In seinen Ausstellungen bezieht sich Kaspar Müller auf Bilder der Realität, die er reproduziert. Jene Realität, welche ihn als Künstler fasziniert, ist selbst schon Bild oder Zitat einer fiktiven Realität. Die Populärkultur hält dafür viele Beispiele bereit, die er in seinem Schaffen aufgreift. Die Dekoabteilungen von Einrichtungsgeschäften und Warenhäusern sind wahre Fundgruben. Kaspar Müller kennt die Methoden der Pop Art, die, lange bevor er geboren wurde, der Warenwelt ihre volle Aufmerksamkeit schenkte und diese überhöhte. In seinen Glasarbeiten ist eine homöopatische Dosis dieser Faszination wieder zu finden. Die Glasarbeiten passten auch deshalb so gut in die verschneite Landschaft über dem Walensee, weil diese selbst wie nach dem Bild einer Ansichtskarte gestaltet erschien.

Wiederholung und Serialität sind Begriffe, die nicht nur für die Diskussion dieser Glasobjekte herangezogen werden könnten, bestimmen sie doch die Struktur vieler Werke der zeitgenössischen Kunst. Richard Wollheim, der 1965 als erster von Minimal Art sprach, meinte damit die von ihm beobachtete Tendenz zu einer radikalen Reduktion in der zeitgenössischen Kunst, welche sowohl die Form wie den Inhalt der Werke betreffen konnte. Inzwischen kann, wie in Amden zu erfahren war, die Aufreihung von einfachen und doch dekorativen Leerformen durch den Künstler dazu eingesetzt werden, selbst kunstferne Situationen für neue Lektüren zu öffnen.



Text: Roman Kurzmeyer, 2012